Suchttherapie 2009; 10 - S914
DOI: 10.1055/s-0029-1240417

Tabakentwöhnung bei Patienten mit psychiatrischer Störung

S Mühlig 1
  • 1Institut für Psychologie, Technische Universität Chemnitz, Chemnitz

Fragestellung/Ziel: Tabakrauchen ist unter Personen mit psychischen Störungen (Bevölkerung) bzw. psychiatrischen Ptn. (klinische Populationen) weit überproportional verbreitet. Es soll ein systematischer Überblick gegeben werden über die Prävalenzen dieser Komorbidität sowie über die ätiologischen Hintergründe und klinischen Implikationen, die Gegenstand intensiver Forschungsbemühungen und kontroverser Diskussionen sind.

Methodik: Systematische Aufbereitung des aktuellen Forschungsstandes auf Basis einer umfassenden Evidenzrecherche (Datenbankrecherche: PsycArticles, PsycINFO, Cochrane, Medline, Embase, Web of Science; Handsearch) zu epidemiologischen, ätiologischen, diagnostischen und therapeutischen Aspekten.

Ergebnisse: Die Rauchprävalenz bei psychisch komorbiden Personen (40–50%) ist ungefähr doppelt so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung (25–30%). Die Kausalität des Zusammenhanges zwischen Tabakrauchen und psychiatrischer Komorbidität ist nicht eindeutig geklärt. Konkurrierende Ätiologiemodelle (primary depression models, primary smoking models, bidirectional models, common-factor models) werden derzeit diskutiert. Raucher mit psychiatrischer Komorbidität sind in mehrfacher Hinsicht höher gefährdet: Sie weisen nicht nur erhöhte physische Morbiditäts- und Mortalitätsraten auf, sondern auch eine schlechtere Prognose bzgl. ihrer psychischen Störung. Außerdem beeinträchtigt die Koinzidenz von Rauchen und psychischer Störung sowohl die Therapieresponse in Bezug auf die psychiatrische Behandlung als auch bzgl. der Tabakentwöhnungstherapien.

Schlussfolgerungen: Obwohl gute Argumente für eine forcierte Tabakentwöhnung bei dieser Risikogruppe sprechen und die Entwöhnungstherapie innerhalb des psychiatrischen Settings sicherer und fachkompetenter angeboten werden könnte, wird dies in der Praxis nur selten realisiert. Für diese Hochrisikogruppe ist dringender Forschungs- und Entwicklungsbedarf zu konstatieren.