Suchttherapie 2009; 10 - PO38
DOI: 10.1055/s-0029-1240470

Online-Spielsucht als Kompensationsversuch posttraumatischer Belastung – Eine psychodynamische Fallstudie

M Langenbach 1
  • 1Abt. für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie St. Marien-Hospital Bonn, Bonn

Online-Spielsucht zählt zu den Verhaltenssüchten; eine präzise Definition der Verhaltenssucht fehlt allerdings noch (Grüsser et al. 2007a). Nach einer niedersächsischen Untersuchung sind 3% der Jungen in der neunten Klasse abhängig von Online-Rollenspielen wie „World of Warcraft“ und weitere 4,7% gefährdet, eine solche Abhängigkeit zu entwickeln (FAZnet 16.03.2009). Andere Untersuchungen an deutschen Jugendlichen gehen von Abhängigkeitsraten von Computerspielen zwischen 6 und 12% aus (Grüsser et al. 2007b; Wölfling et al. 2008). Bereits seit den 90er Jahren wird diskutiert, ob spezifische psychische Faktoren dazu prädisponieren, für Internetsucht anfällig zu werden (Kandell 1998). Unklar ist, was die psychodynamische Funktion von Online-Rollespielen ist, die die überwiegend männlichen Nutzer dazu bewegt, sich immer weiter in den Rollenspielen zu verstricken und dabei ihre normalen Alltagsbezüge aufzugeben. Spielsucht bei Kindern und Jugendlichen ist in verschiedenen Untersuchungen verstanden worden als Ausdruck von „sensation-seeking“ (Lu 2008), Identitätskrisen (Huang 2006), narzisstischen Krisen und Schwierigkeiten der Aggressionsmodulation (Kim et al. 2008) oder Belohnungsverhalten bei Frustrations-, Unsicherheits- und Angsterleben (Grüsser et al. 2005).

Als Beitrag zu einem besseren Verständnis der Psychodynamik des Online-Rollenspiels im Erwachsenenalter stellen wir zwei Fallberichte von Männern vor, die durch exzessives Rollenspiel („World of Warcraft“) schwere traumatische Kindheitserlebnisse mit Ohnmachts- und Bedrohungserleben zu bewältigen suchten. Durch das Ausagieren einer aktiven und mächtigen Rolle, die durch soziale Akzeptanz in der Community und durch Spielbelohnungen verstärkt wird, gelingt es den Männern im Spiel, traumatisch erlebte Gefühle von Hilflosigkeit und Verlassenheit zeitweise zu kompensieren. Wir diskutieren die Zusammenhänge der Online-Rollenspielsucht mit der posttraumatischen Belastungsstörung und mögliche therapeutische Zugänge.

Literatur: FAZnet (2009) Niedersachsen will Online-Spielsucht eindämmen. http://www.faz.net/s/Rub4C34FD0B1A7E46B88B0653D6358499FF/Doc (30.03.2009). Grüsser SM, Thalemann R, Albrecht U, Thalemann CN (2005) Excessive computer usage in adolescents – a psychometric evaluation. Wiener Klinische Wochenschrift 117: 188-195. Grüsser SM, Poppelreuter S, Heinz A, Albrecht U, Sass H (2007a) Verhaltenssucht. Eine eigenständige diagnostische Einheit? Nervenarzt 78: 997-1002. Grüsser SM, Thalemann R, Griffiths MD (2007b) Excessive computer game playing: evidence for addiction and aggression? CyberPsychology and Behavior 10: 290-292. Huang YR (2006) Identity and intimacy crises and their relationship to internet dependence among college students. CyberPsychology and Behavior 9: 571-576. Kandell J (1998) Internet addiction on campus. The vulnerability of college students. CyberPsychology and Behavior 1: 46-59. Kim EJ, Namkoong K, Ku T, Kim SJ (2008) The relationship between online games addiction and aggression, self-control and narcissistic personality traits. European Psychiatry 23: 212-218. Lu HY (2008) Sensation-seeking, internet dependency, and online interpersonal deception. CyberPsychology and Behavior 11: 227-231. Wölfling K, Thalemann R, Grüsser-Sinopoli SM (2008) Computerspielsucht: Ein psychopathologischer Symptomkomplex im Jugendalter. Psychiatrische Praxis 35: 226-232.