Der Klinikarzt 2009; 38(7/08): 327
DOI: 10.1055/s-0029-1240507
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Wandel der Ätiologie bei Herzklappenfehlern

Dieter Horstkotte
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Publication Date:
28 August 2009 (online)

Ein dramatischerer Wandel der Krankheitsätiologie als bei den Herzklappenfehlern hat wohl nirgendwo stattgefunden. Der Altersgipfel von Patienten mit interventionsbedürftigen Herzklappenfehlern lag 1965 bei 43 Jahren. Seither ist er auf 78 Jahre angestiegen. Ursachen sind das Verschwinden der meist im dritten oder vierten Dezenium symptomatisch werdenden rheumatischen Herzklappenveränderungen (insbesondere Mitralstenose) und die Zunahme der erst im höheren Lebensalter symptomatisch werdenden degenerativen Herzklappenfehler (Mitralinsuffizienz und insbesondere Aortenstenose) parallel des Anstiegs der Lebenserwartung der Bevölkerung.

Herzklappenoperationen haben in Deutschland kontinuierlich von knapp 3 000 (1985) auf 15 000 pro Jahr (2005) zugenommen. Dabei blieb die perioperative Mortalität aller operierten Patienten (derzeit ca. 3,5  %) in diesen 20 Jahren konstant, obwohl das Durchschnittsalter der Patienten und deren Komorbidität erheblich zugenommen haben. Waren 1985 nur etwa 1  % aller operierten Patienten älter als 80 Jahre, betrug der Prozentsatz 2005 bereits mehr als 27  %. Die veränderte Epidemiologie der Klappenfehler spiegelt sich insbesondere in der Anzahl pro Jahr operierter Patienten mit isolierten Mitral– und Aortenklappenfehlern wider: 1985 standen 1 900 operierte Mitralklappenfehler 2 300 Aortenklappenfehlern gegenüber. Im Jahr 2005 wurden dagegen 4 100 Patienten mit Mitral– aber mehr als 11 000 Patienten mit Aortenklappenfehlern chirurgisch versorgt. Der Anteil rekonstruierter Mitralklappen ist von 13,7  % (1985), 23,2  % (1995) auf 52,0  % im Jahr 2005 gestiegen.

Degenerative Aortenklappenfehler bei primär trikuspider Klappenmorphologie betreffen vorwiegend Patienten jenseits des 70. Lebensjahres. Bei ihnen besteht bei rechtzeitiger Wahl des Operationszeitpunktes in einem hohen Prozentsatz Sinusrhythmus. Es ist daher verständlich, dass bei diesen älteren Patienten ohne konkomittierende Indikation zur Behandlung mit Vitamin–K–Antagonisten der biologische Klappenersatz bevorzugt wird. Wurde in dieser Patientengruppe 1990 noch 78  % der Patienten eine mechanische Prothese implantiert, waren 2005 69  % der Implantate Bioprothesen.

Ein weiterer Trend in den letzten Jahren ist der Anstieg von Patienten mit perkutanen Interventionen. Dabei werden die auf ein Gerüst montierten biologischen Schließkörper entweder über die Arteria femoralis retrograd oder über die Herzspitze (nach minimalinvasiver Freilegung der Herzspitze) antegrad in die Aortenposition vorgebracht. Obwohl für diese alternativen Verfahren noch keine Langzeitergebnisse verfügbar sind, und sie deshalb auf betagte Patienten mit besonders hohem Operationsrisiko (Komorbidität) beschränkt sein sollten, zeigt sich ein Trend zur Ausweitung des Indikationsspektrums. Es zeichnet sich ab, dass der perkutane Aortenklappenersatz noch vor Ende dieses Jahrzehnts bei etwa 30  % aller Patienten mit kalzifizierten Aortenstenosen angewandt wird. Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass nach einer Übersicht der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie mehr als 30  % insbesondere älteren Patienten mit Aortenstenose wegen des vermeintlich hohen Operationsrisikos bisher eine Operation gar nicht angeboten wurde.

Die nach wie vor hohe kardiale Morbidität (Herzinsuffizienz, Arrhythmien) spät nach Herzklappeninterventionen weist darauf hin, dass die Indikation in Deutschland oft zu spät gestellt wird, weil das Risiko einer Klappenintervention überschätzt und der prognostische Nutzen für die Patienten unterschätzt werden.

Univ.–Prof. Dr. med. Dieter Horstkotte

Bad Oeynhausen

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