Pneumologie 2009; 63(9): 479-480
DOI: 10.1055/s-0029-1241104
Pneumo-Fokus

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Interview – Arzneimittelrecht - Meldung machen bei unerwünschten Nebenwirkungen

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Publication Date:
17 September 2009 (online)

 

Was tun, wenn man als Arzt bemerkt, dass ein verordnetes Medikament unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) hervorruft? Handeln kann man über das Spontanmeldesystem der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Als wissenschaftlicher Ausschuss der Bundesärztekammer berät die Kommission Ärzte bei der Pharmakotherapie. Sie erfasst, dokumentiert und bewertet UAW und informiert darüber im Deutschen Ärzteblatt. Der Vorsitzende, Prof. Wolf-Dieter Ludwig, spricht über die Arbeit der Arzneimittelkommission und die Sicherheit von Arzneimitteln.

Wenn Sie auf die vergangenen Jahre zurückblicken: Welche Meldungen über UAW waren die wichtigsten in Ihrer bisherigen Amtszeit?

Da fallen mir sofort die psychiatrischen UAW zu Rimonabant aus dem Jahr 2008 ein. Rimonabant ist ein Medikament zur Behandlung der Adipositas. Die Nebenwirkungen bestanden in Depressionen, Schlafstörungen, Angst und Aggression bis hin zur Suizidalität. Letztendlich haben diese Meldungen dazu geführt, dass die Zulassung für dieses Arzneimittel seit Oktober 2008 ruht.

Wo konnten Sie noch erfolgreich intervenieren?

Weitere sehr wichtige Meldungen betrafen die sogenannten rekombinanten Erythropoetine. Für die gab es weltweit deutliche Hinweise, dass sie erhebliche Risiken in sich bergen – wie etwa thrombo-embolische Komplikationen. Es gab aber auch Hinweise, dass bei einigen Tumorerkrankungen unter diesen Medikamenten die Tumorprogression beschleunigt wird. Man muss sich das vorstellen: Vor einigen Jahren wurde mit dem Slogan "länger leben" dafür geworben. Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt Hinweise, dass bei bestimmten Tumorerkrankungen unter Erythropoetinen das Leben verkürzt wird. In Deutschland gab es Warnhinweise des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Sie führten letztlich dazu, dass die Packungsbeilage und Fachinformation geändert wurde. Mittlerweile gibt es klare Vorschriften zum Einsatz dieser Wirkstoffe.

Wie beurteilt Ihre Kommission die eingegangenen Meldungen?

Die Meldungen erreichen uns über das Spontanmeldesystem in der Geschäftsstelle der AkdÄ und werden von wissenschaftlichen Mitarbeitern bewertet. Sofern es sich um eine gut dokumentierte, als ernst anzusehende UAW handelt, geht die Meldung im nächsten Schritt in einen UAW-Ausschuss. Hier treffen sich Fachmediziner der AkdÄ, Vertreter des BfArM und des Paul-Ehrlich-Instituts, um die klinische Bedeutung der UAW zu bewerten.

Was ist mit der Pharmaindustrie?

Die sitzt mit am Tisch, denn wir bitten natürlich auch Vertreter der jeweils betroffenen pharmazeutischen Firma hinzu. Sie erhalten die Möglichkeit, über eigene Erfahrungen zu berichten. Wenn am Ende dieses Gesprächs der Eindruck entsteht, bei diesem Arzneimittel bestehe ein ernst zu nehmendes Risiko, leiten wir zusammen mit den Bundesoberbehörden Schritte ein, um möglicherweise die Fachinformationen zu ändern und um die breite Fachöffentlichkeit durch Artikel im Deutschen Ärzteblatt darauf aufmerksam zu machen.

Gibt es noch weitere Vorgehensweisen?

Gegebenenfalls wird ein sogenanntes Stufenplanverfahren eingeleitet. In diesem Verfahren werden dann weitere regulatorische Schritte diskutiert – bis hin zur Marktrücknahme. Parallel dazu werden die meldenden Ärzte fortlaufend informiert: Zunächst bestätigen wir den Eingang der Meldung, später teilen wir das Ergebnis der Recherche mit – keine Meldung wird umsonst gemacht.

Hat die AkdÄ auch rechtliche Kompetenzen?

Nein, dafür sind in Deutschland die Zulassungsbehörden zuständig: Das BfArM für die regulären Arzneimittel und für Impfstoffe zum Beispiel oder (für neue biotechnologisch hergestellte Arzneimittel) das Paul-Ehrlich-Institut. Wir informieren und sensibilisieren die Ärzte, haben aber keine regulatorischen Kompetenzen.

Wünschen Sie sich solche Kompetenzen?

Nein. Dazu wären wir als verhältnismäßig kleiner wissenschaftlicher Fachausschuss der Bundesärztekammer auch logistisch nicht in der Lage.

Entstehen durch Ihre Risikobekanntgaben rechtliche Folgen für den jeweiligen behandelnden Arzt?

Nein, mir sind keine bekannt. Das wäre auch kontraproduktiv. Es ist ja so: Wir wollen erreichen, dass Ärzte unerwünschte Arzneimittelwirkungen melden, damit wir dann darüber informieren können. Aber wir wollen die Ärzte damit nicht verprellen. Wenn sich aus diesen Meldungen Konsequenzen ergeben würden – etwa weil eine UAW eigentlich ein Medikationsfehler ist – dann würden die Ärzte das Melden von UAW vollkommen einstellen. Und es ist ein sehr großes Problem, dass uns ohnehin viel zu wenige UAW gemeldet werden.

Was heißt das genau?

Können Sie Zahlen nennen?

Es gibt ein massives "underreporting". Von den wirklich auftretenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen erreichen uns schätzungsweise nur etwa 3 – 8 %.

Liegt das an einer Meldemüdigkeit oder werden UAW erst gar nicht als solche erkannt?

Beides kann der Fall sein. Zum Teil scheuen Ärzte, die ja nicht unbedingt wenig zu tun haben, den Aufwand, solche Beobachtungen zu melden. Dabei kann man dies alles heute online erledigen, etwa über die UAW-Meldung auf der Homepage der AkdÄ (www.akdae.de). Manchmal wird aber auch der richtige Zusammenhang zwischen Arzneimittel und Nebenwirkung nicht gesehen.

Gibt es Meldungen von Ärzten, bei denen sich herausstellt, dass es sich gar nicht um eine UAW handelt?

Ja, die gibt es. Aber das halte ich für ein kleineres Problem – verglichen damit, dass uns viel zu wenige Meldungen über UAW erreichen und wir viel zu wenig über die Sicherheit von Arzneimitteln wissen. Oftmals sind die Meldungen allerdings schlecht dokumentiert oder es wurden mehrere Arzneimittel gleichzeitig eingenommen, sodass der Zusammenhang zwischen Arzneimittel und Nebenwirkung nicht richtig herausgearbeitet werden kann.

2007 gab es 18 Risikobekanntgaben durch die AkdÄ. Wie viele Meldungen erreichen Sie?

Die meisten Meldungen gehen an die pharmazeutische Industrie. Das bedauern wir sehr, weil wir natürlich glauben, dass es besser wäre, wenn ein unabhängiges Gremium sie bekäme. Pro Monat erreichen uns 200 – 300 Meldungen. Interessant ist, dass die Zahl der Meldungen immer dann deutlich steigt, wenn von uns über Arzneimittelrisiken berichtet wird. Dieser Effekt klingt aber auch schnell wieder ab. Fazit: Wenn man das Thema Pharmakovigilanz in das Bewusstsein der Ärzte bringt, reagieren sie auch darauf.

Würden Sie sagen, dass Arzneimittel sicherer werden?

Viele Arzneimittel werden in Europa zentral zugelassen. Dabei verkürzen sich die Bearbeitungszeiten von Zulassungsanträgen. Man lässt die Arzneimittel dann mit sogenannten Risikomanagementplänen zu – das heißt: Man verlangt vom Hersteller, dass er nach der Zulassung dafür sorgt, weitere Erkenntnisse zur Sicherheit zu erlangen. Viele neue Arzneimittel, auch biotechnologisch hergestellte Pharmazeutika, haben ein erhebliches Risikopotenzial. Und: Viele der UAW werden nicht in den Studien zur Zulassung, sondern erst danach richtig erkannt. Der Bedarf an einer Spontanerfassung ist also enorm groß. Um Ihre Frage ganz klar zu beantworten: Nein, man kann auf keinen Fall sagen, dass Arzneimittel immer sicherer werden – und das ist systembedingt.

Die Fragen stellte Adrian Koch, Stuttgart.

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