Laryngorhinootologie 2009; 88(11): 733-735
DOI: 10.1055/s-0029-1241803
Gutachten + Recht

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Aus der Gutachtenpraxis: C5-Senke=Lärmschwerhörigkeit?

From the Expert Office: C5-dip=Noise-Induced Hearing Loss?T. Brusis
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Publication Date:
12 November 2009 (online)

Einleitung

Von allen Innenohrschwerhörigkeiten ist die Lärmschwerhörigkeit am besten bekannt. Sie ist in den 1960er Jahren in zahlreichen Tierversuchen und an tausenden Menschen in Schallbelastungsversuchen studiert worden. Darum sind Ätiologie, Pathologie, Pathophysiologie, klinisches Bild und Verlauf weit besser gesichert als bei jeder anderen Innenohrschwerhörigkeit.

Feldmann (Feldmann, H.: Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes. Thieme Verlag, Stuttgart. 6. Aufl. 2006.) hat sechs Kriterien aufgestellt, die für die Wahrscheinlichkeitsdiagnose einer beruflichen Lärmschwerhörigkeit erforderlich sind. Unter anderem hat er ausgeführt, dass die Tonschwellenkurven typisch sein müssen: „Bei beginnender Lärmschwerhörigkeit umschriebene Hochtonsenke bei 4 000 Hz, in fortgeschrittenen Stadien Steilabfall oder Übergang in einen Schrägverlauf. Die Hochtonsenke bleibt andeutungsweise oft noch lange erkennbar. Es gibt solche audiometrischen Kurvenverläufe auch bei anderen Schädigungsformen. Der typische Befund ist zwar ein wichtiges Argument für eine Lärmschädigung, ist aber nicht schon an sich ein Beweis”.

Die Entstehung der c5-Senke erklärt sich durch die Empfindlichkeitskurve des Ohres, die ihr Maximum zwischen 1 000 Hz und 4 000 Hz erreicht. Da ein Breitbandgeräusch (industrieller Arbeitslärm) aus einer Anzahl reiner Töne besteht, wird die c5-Senke durch viele Einzelsenken hervorgerufen, die sich zwischen 1 000 und 4 000 Hz summieren. Durch die asymmetrische Ausbildung der Einzelsenken verschiebt sich das Maximum der gemeinsamen Senke bei der Addition in Richtung 4 000 Hz (Lehnhard, E.: Untersuchungen über die Entstehung der c5-Senke. Z Laryng Rhinol 39 (1960) 372).

Aber auch andere Hörstörungen können zu dem tonaudiometrischen Bild führen, welches wir als typisches „Lärmaudiogramm” zu bezeichnen gewohnt sind. Brusis hat 1980 über einige typische Lärmaudiogramme berichtet, denen jedoch andere Krankheitsbilder (angeborenes Leiden, Herzinfarkt, Streptomyzinintoxikation, schweres Schädelhirntrauma) zugrunde lagen (Brusis T.: Aktuelle Probleme in der Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit. Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Präventivmedizin 1980; 15: 287–292). Alle diese Hörstörungen hätten mit einer Lärmschwerhörigkeit verwechselt werden können, wenn die Betroffenen tatsächlich beruflichem (oder auch privatem) Lärm ausgesetzt gewesen wären. Aus differenzialdiagnostischen Gründen ist der Nachweis einer adäquaten Lärmexposition daher unumgänglich.

Die folgenden Beispiele zeigen, dass eine c5-Senke keinesfalls für eine Lärmschwerhörigkeit beweisend ist. Auch wenn die Ursache der Hörstörung („außerberuflich”) unklar ist, muss das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit abgelehnt werden.

Prof. Dr. med. T. Brusis

Institut für Begutachtung

Dürener Straße 199–203

50931 Köln

Email: prof-brusis@t-online.de

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