Dtsch Med Wochenschr 2010; 135(6): 250
DOI: 10.1055/s-0029-1244842
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Patient als Kunde – müssen wir uns an eine neue Sprachregelung gewöhnen?

Patients as customers – do we have to get used to a new parlance?J. F. Riemann1
  • 1ehem. Direktor der Medizinischen Klink C, Klinikum der Stadt Ludwigshafen gGmbH
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Publication Date:
02 February 2010 (online)

Wir haben uns inzwischen daran gewöhnen müssen, dass die Ökonomisierung der Medizin auf allen Ebenen Einzug gehalten hat. Dafür stehen u. a. Schlagworte wie Wettbewerb, der Arzt als Leistungserbringer, Budgetierung, Abhängigkeit von Wirtschaftlichkeitsreserven, Fallzahlsteigerungen und Verbesserung der wirtschaftlichen Kennzahlen. Und nun auch noch der Patient als Kunde, der Gesundheit als Ware ansieht und einkaufen kann? Wo doch Patient vom lateinischen patiens =  erduldend, leidend kommt und eigentlich den in der ärztlichen Behandlung befindlichen Kranken meint. In der Tat hat der Strukturwandel im Gesundheitswesen inzwischen auch sehr intensiv die Sprachregelung erfasst. Der in dieser Zeitschrift publizierte Artikel von Hipp et al. versucht, in diese Entwicklung auch den Patienten einzubeziehen und seine Chancen, aber auch die Risiken einer neuen Positionierung im Krankenhaus zu definieren. Wie gut sind wir darauf vorbereitet? Viele Ärzte weigern sich bisher instinktiv und beharrlich, auf die Patienten nicht nur den Begriff „Kunde” anzuwenden, geschweige denn, ihn als solchen auch zu betrachten. Steht doch für uns Ärzte die menschliche Zuwendung, die Hilfe auch bei unheilbaren Erkrankungen sowie der Beistand in der letzten Lebensphase ganz im Vordergrund. Gesundheit ist ein Gut, dass man nur bedingt kaufen kann. Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht; sie ist von vielen Faktoren abhängig. Ein Rückgaberecht bei fehlgeschlagener Leistung hat der Patient nicht. Einfühlsamkeit, persönliche Zuwendung und Nähe sind nicht käuflich; emotionale Bindungen im Vertrauensverhältnis Arzt-Patient, die vor dem Hintergrund unserer alternden Gesellschaft immer wichtiger werden, müssen diese Beziehung in erster Linie prägen. Dort, wo der Patient nur noch als Kunde zu einer Durchlaufnummer wird, hat die Ökonomie tatsächlich die Oberhand gewonnen.

Auf der anderen Seite müssen wir Ärzte auch zur Kenntnis nehmen, das begrenzte Ressourcen im Gesundheitswesen zu Konsequenzen führen müssen. Wir haben realisiert, dass vielerorts Organisationsstrukturen, Prozessabläufe und jahrzehntelange alltägliche Gewohnheiten Fortschritte behindern und z.  B. zu unnötigen Wartezeiten, Qualitätseinbußen und Kosten geführt haben, die vermeidbar sind. Um diese Veränderungsprozesse zu begleiten, sind in den letzten Jahren zahllose externe „Beratungseinrichtungen” entstanden, die, zum Teil finanziert durch das Gesundheitswesen, um den Kunden „Krankenhaus” mit durchaus unterschiedlichen Erfolgen konkurrieren. Neue gesetzgeberische Rahmenbedingungen und ein politisch verordneter Sparzwang haben mancherorts zu zielführenden Verbesserungen der Struktur- und Prozess- sowie der Ergebnisqualität auch ärztlicher Leistungen geführt, vielerorts aber auch zu bedenklichen Entwicklungen, die nicht zuletzt zu Lasten des Personals gehen. Der immer deutlicher werdende Ärztemangel ist sicher auch auf die zunehmende Ökonomisierung und Bürokratisierung des Medizinwesens zurückzuführen.

Vor diesem Hintergrund ist der Beitrag ein wichtiger Schritt, die Rolle des Patienten unter den geänderten Rahmenbedingungen neu zu definieren. Auch der Patient von heute hat sich verändert, ist in der Regel durch Internet und Medien gut informiert, weiß über Qualitätsunterschiede Bescheid und möchte auch seine ärztliche Leistung da abholen, wo er den besten Vorteil für sich verspricht. Ich habe darauf in meiner Eröffnungsrede anlässlich des Internistenkongresses 2001 hingewiesen [1]. Obwohl der Begriff Patient nicht durch „Kunde” ersetzt werden sollte, müssen wir uns darauf einstellen, dass die ärztliche Leistung auch unter Kundenaspekten gesehen werden muss. Wir sollten den Patienten als Partner begreifen, der immer häufiger über die notwendige Kompetenz und Partizipation verfügt, wie es die Autoren ausführen, und sich damit natürlich auch seiner Eigenverantwortlichkeit bewusst ist oder zumindest sein sollte. Darüber hinaus müssen wir ihm dann aber vor allem in schwierigen und finalen Lebenssituationen jede humanitäre Hilfestellung geben, die er benötigt, vor allem dann, wenn seine Entscheidungsfähigkeit nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr vorhanden ist. So verstanden kann man dem Begriff „Der Patient als Kunde” durchaus auch positive Seiten abgewinnen, fordert er uns Ärzte doch zu ganz besonderen Anstrengungen bei der Mitwirkung an seinem Behandlungsprozess heraus. So gesehen ist auch der Schlüsselsatz des Beitrages, der übrigens von einem Internisten stammt: „Die fehlende Einsicht, den Patienten als Kunden zu betrachten und darauf aufbauend Maßnahmen zu ergreifen, kann sich auf den Patienten und sein Heilungsverfahren negativ auswirken” durchaus als berechtigte Aufforderung zu verstehen, den informierten Patienten auch als Kunden anzusehen, eine Haltung, die aber in jedem Einzelfall auch abweichende Verhaltensweisen zulässt.

Literatur

  • 1 Riemann J F. Arzt - Patient - Öffentlichkeit am Beginn des neuen Jahrhunderts.  Med Klinik. 2001;  96 185-190

Prof. Dr. J. F. Riemann

ehem. Direktor der Medizinischen Klinik C am Klinikum der Stadt Ludwigshafen gGmbH

Parkstr. 49

67061 Ludwigshafen

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