Zeitschrift für Palliativmedizin 2009; 10(4): 183
DOI: 10.1055/s-0029-1244881
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Publication Date:
15 December 2009 (online)

 

Spiritualität und Medizin - Gemeinsame Sorge für den kranken Menschen

Eckhard Frick, Traugott Roser, Hrsg.

2009, 304 Seiten, 26,80 €, W. Kohlhammer, Stuttgart

ISBN: 3170205749

Spiritualität als Lebensphänomen ist - gerade auch von kranken Menschen - in den letzten Jahren stärker ins Bewusstsein gerückt. Die naturwissenschaftlich geprägte Medizin allerdings verzichtet methodisch gesehen auf spirituelle Interventionen und blendet den Wirklichkeitsbereich spirituellen Erlebens der Patienten wie auch der Ärzte und Pflegenden weitgehend aus. Dies ist ethisch kaum zu verantworten und wissenschaftstheoretisch unbefriedigend.

Ein interdisziplinärer Arbeitskreis "Medizin und Spiritualität an der Ludwig-Maximilian-Universität München" hat es sich darum zur Aufgabe gemacht, diesen Sachverhalt historisch, phänomenologisch und systematisch zu klären und nach Ansätzen für ein überzeugendes Eingehen auf Spiritualität im professionellen Handeln der Gesundheitsberufe zu suchen. Wesentliche Ergebnisse dieser Gespräche mit Vertretern aus den Bereichen Medizin, Pflege, Psychologie, Theologie/Seelsorge und Sozialarbeit sind in diesem Sammelband zusammengefasst.

Es werden Definitionsversuche zu Spiritualität in Abgrenzung zu Frömmigkeit und Religiosität aus religionspsychologischer, theologischer (katholischer wie evangelischer) und sozio-logischer Perspektive nebeneinander gestellt. Spiritualität kommt als Lebensdimension, Spiritual Care als Beitrag zur Lebensqualität in den Blick: In freier sprachlicher Kommunikation, in Ritualen und Gebeten werden Sinnfragen gestellt, Transzendenz- und Gotteserfahrungen gemacht, kann in den Raum gestellt werden, was sich jeder konkreten Kommunikation entzieht. Dies kommt sowohl den Patienten als auch den Behandelnden bzw. Begleitenden zu Gute, die die spirituelle Dimension ihres Menschseins bewusst ins Spiel bringen.

Exemplarisch wird das weite Spektrum spiritueller Traditionen und Praktiken in den Beiträgen zur Spiritualität aus interkulturellen und interreligiösen Perspektiven skizziert. Die Vielfalt christlicher (katholischer, evangelischer, orthodoxer), jüdischer und islamischer Spiritualität sowie individueller und esoterischer Ausprägungen zeigt die Spannung zwischen kirchlicher Normierung und Beliebigkeit der Spiritualität. Die spirituelle Begleitung von Patienten in laizistisch geprägten Ländern, in denen Spiritualität privatisiert wird, wie auch in pluralistisch geprägten Ländern, die in der Vergangenheit von einer Religion dominiert wurden, wird nachgezeichnet.

Angesichts der Vielfalt spiritueller Bedürfnisse, Erfahrungen und Traditionen stellt sich die Frage, wie Spiritual Care im Gesundheitswesen geübt werden kann. Grundsätzliche Überlegungen und Beispiele guter Praxis von Spiritual Care in der Psychosomatik, Palliativmedizin, Onkologie, Psychoonkologie, Kinderheilkunde, Hospizarbeit und in der medizinischen Ausbildung geben hierzu Anregungen. Es werden die Möglichkeiten und Qualitätsaspekte spirituellen Handelns aller beteiligten Berufsgruppen angesprochen. Auch wird deutlich, dass die Spiritualität von Patienten durch die Spiritualität der Professionellen und einer Einrichtung ("Geist des Hauses") ernst genommen wird.

Viele der Beiträge haben den Charakter von Praxisbeispielen. Eine Systematisierung vor dem Hintergrund einer interdisziplinären wissenschaftlichen Beschreibung von Spiritualität steht noch aus. Die Beiträge zur Frage der Methodik der Erforschung von Spiritualität geben aber auch hierzu wichtige Anregungen.

Innerhalb der Palliativversorgung ist Spiritual Care integraler Bestandteil, weil Spiritualität als eine nicht zu vernachlässigende Dimension des Menschseins gesehen wird. Mit dem Titel "Spiritualität und Medizin" stellen die Herausgeber den darüber hinausgehenden Anspruch, Spiritualität nicht nur in der Palliativmedizin, sondern in allen Disziplinen der Medizin und in allen Bereichen des Gesundheitswesens als unverzichtbare Dimension des professionellen Handelns zu berücksichtigen. Es ist der Verdienst der Mitglieder der Arbeitsgruppe und der Herausgeber, diesen berechtigten und zeitgemäßen Anspruch zu formulieren sowie durch Theorie und Praxisbeispiele überzeugend zu untermauern. Die Herausgeber regen mit ihrem Band das Weiterfragen an. Es ist zu hoffen, dass dieser Ball von Lehrenden, Forschenden und Lernenden der Medizintheorie und Seelsorgetheorie, der Religionswissenschaft und Pflegetheorie, der Psychologie und Sozialarbeit wie von Praktikern all dieser Disziplinen aufgenommen wird!

Dr. theol. Ralph Charbonnier

Literatur

  • 01 Frick Eckhard . Roser Traugott . Hrsg. 2009, 304 Seien, 26,80 €, W. Kohlhammer, Stuttgart, ISBN: 3170205749. 
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