Der Klinikarzt 2009; 38(12): 528-529
DOI: 10.1055/s-0029-1245048
MEDICA e.V.

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Interview - Was erwarten die Krankenhäuser von der neuen Legislaturperiode?

Further Information

Publication History

Publication Date:
07 January 2010 (online)

 

Zum elften Mal fand im Rahmen der weltgrößten Medizinmesse MEDICA vom 18.-21. November in Düsseldorf der 32. Deutsche Krankenhaustag statt. Es ist die gemeinsame Tagung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands (VLK), des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) sowie der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schwesternverbände und Pflegeorganisationen (ADS) und dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBFK). Diesjähriger Kongresspräsident war der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Dr. Rudolf Kösters.

? Herr Dr. Kösters, kurz nach der letzten Bundestagswahl fand in Düsseldorf der 32. Deutsche Krankenhaustag statt. In Berlin haben sich die politischen Verhältnisse verändert: das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist jetzt in der Hand der FDP. Freut Sie der Wechsel in Berlin?

Dr. Rudolf Kösters: Wir freuen uns über den offensichtlich angestrebten Perspektivenwechsel. Mit großer Klarheit wird im Koalitionsvertrag die Bedeutung des Gesundheitswesens als großer und wichtiger Wirtschaftszweig, wichtig für Beschäftigung, Wachstum und Innovation hervorgehoben. So hoffen wir, dass Gesundheitspolitik in Zukunft nicht mehr primär als Kostendämpfung stattfindet.

? Trauen Sie einem so jungen, unbeleckten Minister wie Philipp Rösler und seiner ebenso jungen Mannschaft zu, dass er dieses hoch verminte gesundheitspolitische Feld trotz Lobbyismus in den Griff bekommt?

Kösters: Die Frage kann ich verstehen - aber er macht einen kreuzgescheiten Eindruck und ist auch jemand, der das politische Geschäft aus Niedersachsen durchaus kennt.

Der Minister hat Leute an seiner Seite, wie Daniel Bahr (FDP) oder Annette Widmann-Mauz (CDU), die das Gesundheitswesen bestens kennen. Beide sind inhaltlich stark genug, Sachargumente von reinen Lobbyverträgen zu unterscheiden - wenn sie wollen.

? Wenn Sie zurückblicken auf die Zeit mit Ulla Schmidt, was waren die gravierendsten Fehlentwicklungen, die in den letzten beiden Legislaturperioden von der Gesundheitspolitik zu verantworten sind?

Kösters: Die ausufernde Bürokratie im Gesundheitswesen, die Ökonomisierung, die in vielen Fällen das akzeptable Maß überschreitet und die Zentralisierung! Für diese 3 Fehlentwicklungen trägt die Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre direkt oder indirekt Verantwortung.

? Was meinen Sie mit Zentralisierung?

Kösters: Nehmen wir das Beispiel des Bundesspitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung. Vorher waren 6 oder 7 Spitzenverbände der GKV auf der Bundesebene tätig. Das war Frau Schmidt zu viel und sie hat daraus einen gemacht. Ähnlich ist es mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), der hatte vorher 4 oder 5 Beschlusskammern, das war ihr auch zu differenziert und sie hat daraus eine Beschlusskammer gemacht. Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Nicht zuletzt hat der Gesundheitsfonds die Zentralisierungstendenz stark verschärft, u. a. durch den bundeseinheitlichen Beitragssatz, der auch eine enorme Fusionswelle unter den Krankenkassen ausgelöst hat. So sind wir da nun auf dem Weg in enge Oligopole.

? Gab es für Sie auch Positives in der Amtszeit von Ulla Schmidt?

Kösters: Gut in der Amtszeit von Ulla Schmidt war aus meiner Sicht die Erkenntnis, dass die Sektoren im Gesundheitswesen stärker zusammenarbeiten müssen und dieses Ziel hartnäckig verfolgt wurde. Die Sektorengrenzen zu durchlöchern und abzubauen, da hat sie Vorzeigbares geleistet. Nehmen sie das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz - in meinen Augen eines der bedeutendsten Gesetze in der Amtszeit von Ulla Schmidt. Das ermöglicht niedergelassenen Ärzten, im Krankenhaus mitzuarbeiten und umgekehrt, dass Krankenhausärzte im Vertragsarztbereich tätig werden können. Ich hoffe, dass die neue Koalition diese Arbeit weiter fortsetzt. Im Koalitionsvertrag steht es jedenfalls.

? Die Prüfung der ambulanten Öffnung der Krankenhäuser (§ 116b) ist zwar ein Punkt des Koalitionsvertrages. Die Frage ist jedoch, in welche Richtung wird er überprüft?

Kösters: Da haben Sie Recht - aber diese Verzahnung erschöpft sich nicht nur im § 116b. Es gibt eine ganze Anzahl von Paragrafen im Sozialgesetzbuch V, mit denen eine Verzahnung ambulant-stationär ermöglicht wird.

? Nach Angaben der DKG behandeln Krankenhäuser schon jetzt mehr ambulant als stationär. Damit sind sie eine echte Konkurrenz für niedergelassene Ärzte. Warum wollen Sie noch mehr?

Kösters: Wir Krankenhäuser wollen derzeit keine zusätzlichen Felder im ambulanten Bereich reklamieren, weil wir wissen, wir müssen die Arbeit auch bewältigen können. Wir haben es auch immer nur in den Bereichen gefordert, wo es von der Versorgung her Sinn macht. Chronisch kranke Patienten, die dauernd zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung pendeln, äußern oft den Wunsch, nach dem stationären Aufenthalt im Krankenhaus von demselben Arzt weiter behandelt zu werden. Aus diesem Wunsch haben wir eine politische Forderung gemacht. Aber wir sehen natürlich auch die Begrenztheit unserer Ressourcen.

? Aber Sie klagen über einen erheblichen Ärztemangel, bundesweit sind im Augenblick 5 000 Stellen nicht besetzt. Wie wollen die Krankenhäuser die zusätzliche Erbringung ambulanter Leistungen stemmen, wenn es schon jetzt nicht ausreichend Ärzte gibt?

Kösters: Das ist ein großes, aber regional höchst unterschiedliches Problem. Da gibt es nicht nur große Unterschiede zwischen Garmisch Patenkirchen und Rügen, sondern auch zwischen attraktiven Städten wie Köln, Düsseldorf oder Münster und den umliegenden Landgemeinden.

Zur Lösung des Problems hat der Deutsche Krankenhaustag jetzt ein Signal gesetzt. Wir haben eine grundlegende Veränderung des Numerus Clausus für den Fachbereich Humanmedizin, mehr Medizin-Studienplätze sowie die Beschränkung der ärztlichen Tätigkeiten im Krankenhausalltag auf ärztliche Kernkompetenzen gefordert.

? Bis die Abschaffung des Numerus Clausus oder mehr Medizinstudienplätze sich auf die derzeitige Mangelsituation auswirken, vergehen Jahre. Wenn Ärzte nicht mehr ans Krankenhaus wollen und nach Norwegen oder in die Schweiz gehen, müssen dann nicht die Krankenhäuser ihre Rahmenbedingungen, wie übermächtige Verwaltungen, überbordende Bürokratie, oder befristete Verträge und Gehälter, die weder der Ausbildung noch der Beanspruchung entsprechen, ändern?

Kösters: In der Bezahlung unserer Ärzte haben wir sicher einiges nachgeholt; die beiden letzten Lohnrunden haben einen enormen Schub nach vorne gebracht. Aber an dem Verhältnis Arbeit zu Freizeit, an dieser Balance müssen wir arbeiten. Das ist schwierig zu organisieren, denn auch der Patient braucht in der ärztlichen Betreuung Kontinuität. Nach 17 Jahren Deckelung der Krankenhausausgaben mit der Grundlohnrate sind die Handlungsspielräume für die Krankenhausleitungen denkbar begrenzt.

? Was erwarten die Krankenhäuser von der neuen Legislaturperiode? Was sind Ihre Hauptforderungen an die neue Koalition?

Kösters: Eine wirklich zentrale Forderung ist nach den vielen Jahren des Reformierens, Änderns, Anpassens und der Konvergenzphasen einer neuen Krankenhausfinanzierung, dass der jetzt gefundene ordnungspolitische Rahmen respektiert wird. Die Krankenhäuser brauchen Stetigkeit, Planbarkeit, Berechenbarkeit und Stabilität.

Wir erwarten, dass die Grundlohnrate 2010 zum letzten Mal gilt und appellieren ans BMG, den Kostenorientierungswert vom Statistischen Bundesamt zügig zu entwickeln und gelten zu lassen.

Eine weitere Forderung ist, den Abbau von Sektorengrenzen weiter fortzusetzen. Beim Paragraf 116b darf bei der Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Patienten nicht der Rückwärtsgang eingelegt werden.

Korrigiert werden müssen auch die Vorstellungen der neuen Koalition zu den Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), dass zukünftig ein MVZ überwiegend von Ärzten getragen werden muss.

? Und Sie glauben nicht, dass diese Forderung ein Affront für die Niedergelassenen ist?

Kösters: Hier ist Klugheit gefordert - es darf nicht gegeneinander sondern kann nur miteinander gehen. Die 4 Kardinaltugenden: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß, sollten beherzigt werden. Meine persönliche Philosophie ist: Die Zusammenarbeit und nicht der Konflikt muss der Vater aller Dinge sein.

Das Interview führte Anne Marie Feldkamp.

    >