Hebamme 2010; 23(1): 4-5
DOI: 10.1055/s-0030-1248872
Editorial
© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Die eigenen Grenzen überschreiten

Cordula Ahrendt
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
24. März 2010 (online)

Liebe Leserinnen,

Geburt und Hebammenausbildung haben Gemeinsamkeiten. Sich auf die Geburtswehen und die Sturmböen der Hebammenausbildung einzulassen, bedeutet seine eigenen Grenzen wahrzunehmen, auszutesten und zu überschreiten. Eine empathische kontinuierliche Begleitung unterstützt darin, diese Grenzerfahrung zu bewältigen und in zukünftigen (Krisen-)Situationen als Kraftquelle zu nutzen.

Die Hebammenschülerinnen erleben, wie Frauen verängstigt zur Anmeldesprechstunde in die Klinik kommen und frühzeitig bei Wehenbeginn nach Schmerzmitteln verlangen. Sie erleben, wie Ärzte gern und in bester Absicht Schmerzmittel anbieten oder Hebammen nur diesen Ausweg sehen, um der Frau eine vaginale Geburt zu ermöglichen. Sie hören, wie ihre Mütter von den eigenen, oft schwierigen Geburten erzählen, in denen sie sich ausgeliefert gefühlt haben.

Die Schülerinnen staunen über die positiven Geburtserlebnisse ihrer Großmütter und versuchen Kraft zu schöpfen aus den Erlebnissen, in der es der Gebärenden gelingt, sich auf den Schmerz einzulassen, sich ihm hinzugeben und ihr Kind aus eigener Kraft zu gebären, in der die Hebamme sich Zeit nehmen kann für die Frau/Familie und mit ihr gemeinsam den Weg zurücklegt, es schafft, Spannungen auszuhalten und die Gebärende über die Grenze des Möglichen zu begleiten.

Sarah Schulz schrieb im Rahmen einer Projektarbeit im 2. Ausbildungsjahr ein Gedicht, das ihre Gefühle und Gedanken aufzeigt (s. nächste Seite).

Die zukünftigen Generationen von Klinikhebammen befinden sich in einem Dilemma. Sie möchten die Frau in ihrer eigenen Gebärfähigkeit unterstützen und bringen selbst oft wenig Erfahrungen und Vertrauen dafür mit. Zusätzlich macht die Kostenreduzierung im Gesundheitswesen eine kontinuierliche Hebammenbetreuung fast unmöglich.

Mit unserer Leserinnenumfrage (s. Beilage und S. 7–9) greifen wir das zentrale Thema Umgang mit Geburtsschmerzen auf und möchten Ihre reichhaltigen Erfahrungen zusammentragen. Welche Erfahrungen haben Sie mit den einzelnen Methoden der Schmerzlinderung gemacht? Was hat sich Ihrer Erfahrung nach am meisten praktisch bewährt? Durch Ihre Teilnahme an unserer Umfrage können wir ein breites Meinungsbild über die aktuell praktizierten Methoden gewinnen und alle von den Erfahrungen anderer Kolleginnen profitieren. Erfahrungswissen ist für die Weiterentwicklung der Hebammenarbeit ebenso wertvoll wie evidenzbasiertes Wissen. Wir freuen uns auf Ihre Mitarbeit!

Der Schwerpunkt unseres Heftes liegt auf der Beratung zu den einzelnen Möglichkeiten der Bewältigung des Geburtsschmerzes und auf nichtmedikamentösen Hebammenmethoden zur Linderung des Geburtsschmerzes.

Der vorgestellte Beratungsleitfaden soll Sie dabei unterstützen, die Frauen über alle derzeit üblichen Praktiken evidenzbasiert aufzuklären, ihnen eine informierte Entscheidung zu ermöglichen und die Qualität der Hebammenarbeit zu sichern. In diesem Sinne hat auch die Anästhesistin Dr. Nicole Ritsch Schwerpunkte einer Beratung zur PDA ausführlich erläutert.

In ihrem Fallbeispiel analysiert Martina Eirich eindrucksvoll, welche Folgen schwierige Geburtserlebnisse in weiteren Generationen hinterlassen können und welcher Hebammenkompetenzen und welchem Willen es bedarf, um diesen Teufelskreislauf zu durchbrechen.

Unsere Zeitschrift zeigt sich im neuen Jahr in einem neuen Layout, das die Farben des Hippokrates-Verlages aufgreift.

Ich wünsche Ihnen viele neue Anregungen sowie Lust und Zeit, Ihre Ansichten zum Geburtsschmerz allen Leserinnen durch Ihre Beteiligung an unserer Umfrage nahe zu bringen.

Ihre

Cordula Ahrendt

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