PiD - Psychotherapie im Dialog 2011; 12(1): 19-22
DOI: 10.1055/s-0030-1266030
Aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Psychodynamische Therapie bei Patienten und Patientinnen mit koronarer Herzerkrankung

Jochen  Jordan, Benjamin  Bardé
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Publication Date:
14 March 2011 (online)

Zusammenfassung

Im Mittelpunkt der Erfahrungen in psychodynamischen Therapien mit psychokardiologischen PatientInnen steht das kritische Ereignis der Herzerkrankung, das eine biografische Bruchstelle dadurch markiert, dass mit ihm die Thematisierung des Todes, der Unwiederholbarkeit und die Unumkehrbarkeit der eigenen Zeit und des eigenen Lebens in das Erleben eingeführt wird. Dies erfordert von PsychotherapeutInnen auf der Grundlage eines soliden kardiologischen Basiswissens eine sorgfältige Verarbeitung des Krankheitsereignisses durch eine weiträumige biografische Kontextualisierung des Ereignisses im Hinblick auf belastende kritische Lebensereignisse, kritische Lebensstile, Gratifikationskrisen, vitale Erschöpfungsbereitschaften und chronische Partnerschaftskonflikte. Unabhängig von der erfolgreichen technisch-interventionellen Kardiologie geht es um die nachträgliche, aber auch um die prospektive Konstruktion von Sinn, der einen mit der Erkrankung kompatiblen neuen Lebensstil fördern kann. Behandlungsmethodisch wird auf eine bei dieser Zielsetzung häufig zu beobachtende „Wahrnehmungslücke” aufmerksam gemacht, mit der in der Regel kardiovaskulär riskantes und maladaptives Verhalten verbunden ist. Sie ist dadurch charakterisiert, dass latente Präkonzepte die Wahrnehmungen realer Ereignisabfolgen in Handlungssituationen ersetzen und diese schlimmer erscheinen lassen, als sie tatsächlich sind.

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1 Unsere Ausführungen basieren auf einer umfassenden Sichtung psychodynamischer Publikationen zur KHK und deren psychotherapeutischer Behandlung (Bardé u. Jordan 2003, Jordan, Bardé u. Zeiher 2007) sowie auf einem umfassenden Erfahrungshintergrund (viele tausend Therapiestunden) der beiden Autoren, die seit 1980 in unterschiedlichen Formaten Menschen mit Herzerkrankungen behandelt haben (Gruppe, Kurz- und Langzeittherapie, Psychoanalyse, stationäre Behandlungen unterschiedlicher Länge). Eine Gruppenbehandlung und drei Kurzzeittherapien wurden aufgezeichnet und wissenschaftlich ausgewertet und alle Behandlungen wurden über die Jahre engmaschig diskutiert und im Sinne der Intervision kontrolliert (Bardé 1993, Bardé 1997, Bardé u. Kutter 1996, Bardé u. Crespo 1995, Jordan 1991, Jordan, Overbeck u. Joos 1983, Jordan 1992, Jordan, Bardé, Stirn u. Girth 1997, Jordan 2010, Görgülü 2002, Ammar 2007, Götz 2010, Jordan et al. 2007).

Prof. Dr. rer. med. Dipl.-Psych. Jochen Jordan

Klinik für Psychokardiologie
Kerckhoff Herz- und Gefäß-Campus

Ludwigstraße 41

61231 Bad Nauheim

Email: j.jordan@psycho-kardiologie.de

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