PiD - Psychotherapie im Dialog 2011; 12(1): 77-79
DOI: 10.1055/s-0030-1266046
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Als Herzchirurg kann man anderen Menschen auf eine elementare Weise helfen …”

Hans-Joachim  Schäfers im Gespräch mit Volker  Köllner
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Publication Date:
14 March 2011 (online)

PiD: Im Vergleich zu anderen operativen Fächern hat die Herzchirurgie eine lange Tradition in der Erforschung psychologischer Fragestellungen und der psychosomatischen Mitbetreuung von Patienten. Wie erklärst du dir die besondere Offenheit der Herzchirurgie für psychische Aspekte?

Hans-Joachim Schäfers: Herzchirurgie berührt in besonderem Maße die Grenzen der menschlichen Existenz. Selbst wenn das objektive Risiko bei einem herzchirurgischen Eingriff geringer ist als bei einem Eingriff an einer anderen Körperregion, so liegt das Angstniveau der Patienten trotzdem meist deutlich höher. Mit dieser Angst wird der Herzchirurg natürlich konfrontiert und er muss Antworten auf die sich hieraus ergebenden existenziellen Fragen der Patienten finden.

Der Unterschied erklärt sich vielleicht auch daraus, dass Herzchirurgie physiologische Chirurgie ist. Herzchirurgen denken in funktionellen Abläufen. Möglicherweise hinterfragen wir deshalb stärker, was wir tun, und gehen mehr in die Tiefe. Außerdem ist die Interaktion von Herzchirurgen z. B. mit den Kardiologen enger als bei anderen Fachgebieten mit ihren Kooperationspartnern. Von daher sind wir interdisziplinäre Kooperation von Anfang an gewöhnt. Ein weiterer Aspekt bei dieser Frage ist, dass die Herzchirurgie noch eine relativ junge Disziplin ist. Daher gibt es viel Neugier und Forschergeist. Ein wichtiges Ziel ist hierbei, wie man bei Patienten eine möglichst gute Lebensqualität erreichen kann. Dieser Begriff hielt in herzchirurgische Studien deutlich früher Eingang als in andere Fächer. Heute geht es hierbei nicht mehr nur darum zu zeigen, dass eine bestimmte Operationsmethode die Lebensqualität generell verbessert, sondern auch, welche Patientengruppen hiervon besonders profitieren, welche eine Anschlussrehabilitation benötigen usw. Und dies ist ein Forschungsfeld, bei dem sich die Kooperation mit Psychologen und Psychosomatikern natürlich anbietet.

Ist es nicht auch so, dass es in der Herzchirurgie mehr auf eine aktive Mitarbeit der Patienten ankommt als in anderen operativen Fächern – z. B. in der Transplantationsmedizin?

Eigentlich sind die Probleme bei einer Leber- oder Lungentransplantation die gleichen, auch hier kommt es sehr auf die aktive Mitarbeit des Patienten an.

Liegt es dann eher an dem aktiven Bewältigungsstil der Herzchirurgen, dass sie auf aktive Patienten besonderen Wert legen?

Vielleicht kann man das so sehen … Tatsächlich wurden sogenannte „Fast Track”-Konzepte mit dem Ziel einer möglichst frühzeitigen Mobilisierung und Entlassung aus der Klinik in der Herzchirurgie deutlich früher entwickelt als in anderen chirurgischen Disziplinen. Und hier kommt es tatsächlich darauf an, dass die Patienten aktiv mitarbeiten und entsprechend informiert und motiviert sind.

Fallen dir Patienten oder Krankheitsbilder ein, bei denen psychische Aspekte eine besonders große Rolle spielen?

Hier denke ich zuerst an die Aortendissektion. Ein solches plötzliches Einreißen der Hauptschlagader ist ein lebensbedrohliches Ereignis, das von den Patienten auch unmittelbar als solches erkannt und erlebt wird. Dieses Ereignis kann auch Jahre danach noch psychische Folgen haben, wie wir ja in einer gemeinsamen Studie nachweisen konnten. Hier können Belastungsreaktionen auch nach Jahren noch zu einer reduzierten Lebensqualität führen, auch wenn das operative Ergebnis sehr gut war.

Ein anderer wichtiger Bereich ist der Zusammenhang zwischen Angst und koronarer Herzerkrankung. Oft bessert sich die Angst der Patienten, wenn sie nach einer erfolgreichen Bypassoperation weniger Herzbeschwerden haben. Aber die Verbesserung der koronaren Blutversorgung löst natürlich nicht alle Probleme. Bei einigen Patienten gewinnt die Angst die Qualität eines eigenen Krankheitsbildes und kann dazu führen, dass Symptome wie z. B. Brustschmerzen weiterbestehen. Hier bedarf es zunächst einer interdisziplinären Abklärung und dann einer gezielten psychotherapeutischen Behandlung. Hinzu kommt, dass Patienten mit ausgeprägter Angst ein erhöhtes Operationsrisiko haben, sowohl für die Mortalität als auch durch ein postoperatives Delir, früher Durchgangssyndrom genannt. Hierbei handelt es sich um vorübergehende Verwirrtheitszustände, die die Patienten und besonders die Angehörigen kurz nach der Operation sehr belasten können. Zu den psychischen und körperlichen Ursachen des Delirs und seinen Langzeitfolgen starten wir gerade ein interdisziplinäres Forschungsprojekt.

In deiner Berufstätigkeit triffst du täglich auf Menschen, die sich in einer extremen Lebenssituation befinden. Was sind deine Strategien, mit den Ängsten und Erwartungen der Patienten umzugehen – sowohl im Sinne der Patienten als auch im Sinne der Selbstfürsorge?

Ganz im Vordergrund steht auch hier wieder die Angst der Patienten – und dieser Angst muss man sich im Gespräch stellen. Eher selten wird die Angst von den Patienten direkt angesprochen, meist wird sie rationalisiert, z. B. in Form von sehr detaillierten Fragen zur Operationstechnik und zur Weiterbehandlung auf der Intensivstation. Das Beantworten dieser Fragen und das Geben von Informationen sind hier als erste Schritte natürlich wichtig. Entscheidend ist aber der Kontakt von Mensch zu Mensch. Bei der Aufklärung geht es eben nicht nur um das Vermitteln von Informationen, sondern vor allem um den Aufbau einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung. Insofern beginne ich zwar mit Informationen über die Krankheit und die Operation, es folgt aber immer auch ein Gespräch über persönliche Dinge wie Familie, Beruf und private Interessen. Ich glaube, es hilft dem Patienten auf entscheidende Weise, eine Vertrauensbasis aufzubauen, wenn er spürt, dass er als Mensch angesehen wird. Solche Gespräche haben immer eine verbale und eine nonverbale Komponente. In einer solchen Situation spüre ich dann oft, wie die Patienten lockerlassen, wie die Gesichtszüge sich entspannen.

Wenn dies nicht hilft, dann spreche ich das Thema Angst offen an und suche nach einem Weg, Vertrauen aufzubauen. Angst kommt tief aus dem Unterbewussten, ihr ist mit rationalen Argumenten alleine nicht beizukommen. Vertrauen ist hier die einzige neutralisierende und hilfreiche Kraft. Ich bringe häufig das Beispiel eines Kindes, das von einer Mauer springt, wenn es weiß, dass der Vater es auffängt und dass es nicht ins Bodenlose fallen wird.

Wie man Vertrauen aufbaut, hat eine sehr individuelle Dimension, das macht nicht jeder Chirurg gleich und auch die Patienten haben hier unterschiedliche Bedürfnisse. Manch einer braucht hier den weißhaarigen Professor mit gut sitzender Krawatte, mein Weg ist eher, nicht abgehoben zu sein und als Mensch rüberzukommen.

Wenn du mehr persönliche Dinge über Patienten weißt, erhöht das nicht deine eigene Verwundbarkeit für den Fall, dass Komplikationen auftreten oder ein Patient verstirbt?

Einerseits schon: Wenn weniger Anonymität besteht, leide ich natürlich mehr mit. Auf der anderen Seite hat Vertrauen auch für mich etwas sehr Entlastendes. Wichtig ist, im Vorgespräch nichts zu beschönigen und die Risiken zu benennen, die es in der Medizin nun einmal leider gibt. Wenn ein solches Risiko dann doch einmal eintrifft, dann hilft eine Vertrauensbasis dem Patienten oder manchmal leider auch nur den Hinterbliebenen, zu akzeptieren, dass das Schicksal zugeschlagen hat, obwohl alles getan wurde, was möglich ist.

Und wie gehst du mit der eigenen Belastung um?

Ein ungelöstes Thema … Die Belastung hat verschiedene Dimensionen: Das Operieren selbst und die Arbeit mit den Patienten ist zwar oft anstrengend, aber am wenigsten belastend. Nennen möchte ich hier vor allem die organisatorische Aufgabe, ein Team in wechselnden Zusammenstellungen auf Kurs zu halten, verschiedene Sicherheitsebenen einzubauen und zu überwachen und bei Bedarf nachzukorrigieren. In der Herzchirurgie haben wir es mit einem ständigen Risiko zu tun, das sehr schnelles Handeln erforderlich machen kann. Ein Fehler oder auch suboptimales Verhalten eines Mitarbeiters kann hier sehr schnell fatale Folgen für die Patienten haben und in Deutschland ist der Chefarzt sowohl organisatorisch als auch juristisch stets der Hauptverantwortliche. In den meisten Ländern ist dies anders. Da ist das System weniger hierarchisch und jeder Facharzt gilt als erwachsen und hat für seine eigenen Patienten die Letztverantwortung. Und natürlich gibt es da einen Konflikt zwischen dem Recht des Patienten auf eine optimale Behandlung und dem Recht der jüngeren Kollegen, aus eigenen Fehlern zu lernen. Ich kann hier nicht anders als mich für die Patienten zu entscheiden.

Was hilft dir trotz dieses Drucks weiterzumachen?

Zum einen gibt es da sicher eine altruistische Komponente. Als Herzchirurg kann man anderen Menschen auf eine sehr elementare Weise helfen. Auf der anderen Seite eine ausgesprochene Neugier bisherige Grenzpflöcke der Medizin zu lockern und zu schauen, ob man sie nicht ein Stück weiter wieder einschlagen kann.

Wie reagieren Patienten darauf, dass während der Operation ihr Herz stillstand oder sie mit dem Herzen oder der Lunge eines anderen aufwachen?

(Lacht) So eine Frage kann sich nur ein Psycho ausdenken: das Herz – Sitz der Seele. Wird das von den Patienten heute noch so erlebt? Das mit dem Herzstillstand ist eher eine Frage der Aufklärung. Man kann das so darstellen, dass es den Leuten Angst macht, ich bevorzuge das eher nicht. Nur die wenigsten Patienten erleben selbst eine Zeit des Herz-Kreislauf-Stillstandes in Hypothermie als Todes- oder Nahtoderfahrung. Das spielt meines Erachtens keine große Rolle. Wichtiger ist tatsächlich die Angst vor dem Unbekannten, das eigene Leben für Stunden völlig einem fremden Team und der Technik auszuliefern.

Und die wenigsten Patienten nach einer Herz- oder Lungentransplantation haben ein Fremdkörpergefühl. Sehr nachdenklich macht einige jedoch die Tatsache, dass ein anderer Mensch sterben musste, damit sie weiterleben konnten. Viele entwickeln hieraus ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit für ihre neue Lebenschance.

Wie beurteilst du die gegenwärtige Versorgungsstruktur hinsichtlich der Unterstützung von Patienten vor und nach herzchirurgischen Eingriffen?

Die Psyche fällt heute leider nicht selten komplett zwischen die Stühle, nicht nur in der Herzchirurgie. Ein steigendes „Krankheitsbewusstsein” gerade bei den Deutschen hat zu einer immer häufigeren Frequentierung von Arztpraxen geführt. Die somatische Medizin hat sich in der Folge auf konkret fassbare Veränderungen gestützt. Die Regierung – oder eigentlich die Gesellschaft – will aber gleichzeitig nicht mehr für das Gesundheitswesen zahlen und muss folglich trotz steigender Frequentierung die Kosten unter Kontrolle halten. Die Folge ist eine Abwärtsspirale nach dem Motto – möglichst viel, schnell und billig. Da die Psyche nichts unbedingt Fassbares ist, fällt sie bei dieser Denkweise häufig hinten runter. Diese Entwicklung erklärt meines Erachtens auch teilweise den Erfolg von Heilpraktikern: Hier finden viele Patienten das, was sie suchen, es wird ihnen in Ruhe zugehört. Aber natürlich haben Heilpraktiker auch andere Arbeitsbedingungen: Es besteht kein Versorgungsdruck und das Verhältnis von Honorierung und eingesetzter Zeit ist quasi frei aushandelbar.

Und was bräuchten wir, um die Situation zu verbessern?

Ich glaube, die meisten Patienten in der Herzchirurgie brauchen keine Psychotherapie, sondern Ärztinnen und Ärzte, die sich wieder mehr auf Menschlichkeit besinnen und die Zeit haben, mit ihren Patienten zu reden.

Und mit mehr Zeit für Gespräche fällt es natürlich auch leichter, diejenigen Patienten herauszufinden, bei denen z. B. die Angst einen eigenen Krankheitswert hat oder bei denen es als Folge eines traumatischen Ereignisses wie der oben genannten Aortendissektion zur Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung gekommen ist. Hier besteht dann natürlich die Indikation für fachgerecht durchgeführte Psychotherapie.

Ein weiteres wichtiges Einsatzgebiet für Psychotherapeuten sehe ich aber auch im Coaching der Teams. Gerade wenn verschiedene Berufsgruppen in einer sehr belastenden Situation und unter hohem Druck zusammenarbeiten müssen, kann ein solches Coaching notwendig sein. Dieser Aspekt wurde bisher zu sehr vernachlässigt.

Danke fürs Gespräch!

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