Psychiatrie und Psychotherapie up2date 2011; 5(3): 133-134
DOI: 10.1055/s-0030-1266101
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fett polstert die Nerven

Die Rolle von Lipiden in der Ätiopathogenese neuropsychiatrischer Krankheitsbilder
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Publication Date:
05 May 2011 (online)

Oftmals kennt der Volksmund pathophysiologische Zusammenhänge, bevor sie wissenschaftlich untermauert werden können. So heißt beispielsweise der typische Bauch vieler Männer „Bierbauch” und nicht etwa „Kartoffelbauch” oder „Nudelbauch”. Dies weist auf eine adipositasinduzierende Wirkung von Alkohol hin, die über den einfachen Kalorieneffekt hinausreicht. Tatsächlich ist die Gesamtkalorienaufnahme adipöser Personen im Durchschnitt geringer als bei schlanken Personen; der Alkoholkonsum ist jedoch höher [1]. „Fett polstert die Nerven” ist eine andere altbekannte Weisheit. Kürzlich wurden sinkende Suizidraten mit zunehmender Adipositas gefunden [2]. Bemerkenswert an diesen Beispielen ist nicht nur die vom Volk tradierte Weisheit, sondern auch die Bedeutung von Fetten für viele häufige klinische Phänomene. Die besondere Rolle von Lipiden für die Pathophysiologie neuropsychiatrischer Erkrankungen ist in der Schulmedizin schon lange bekannt. In den letzten Jahren sind wichtige Befunde hinzugekommen, die ich schlaglichtartig an den Beispielen Alzheimerdemenz und Depression darstellen möchte.

Hohes Serumcholesterin ist schon im mittleren Lebensalter mit dem Auftreten von Amyloid-Plaques im Gehirn assoziiert [3]. Kohortenstudien haben ergeben, dass mediterrane Kost mit einer geringeren Inzidenz von Alzheimerdemenz einhergeht [4] [5]. Prospektive randomisierte kontrollierte Studien zeigen günstige Effekte von Omega-3-Fettsäuren auf Symptomatik und Verlauf der Alzheimerdemenz [6] [7]. Ein wichtiger genetischer Risikofaktor für die Entwicklung ist das Gen Apolipoprotein Ee4. Schon die Tatsache, dass dieses Gen ein Lipoprotein codiert, zeigt den engen Bezug zu Lipiden. In genomweiten Assoziationsstudien wurde kürzlich eine Vielzahl weiterer Alzheimer-Risikogene identifiziert [8]. Die Vielzahl identifizierter Gene hängt mit nur wenigen Stoffwechselwegen zusammen, und zwar mit dem Immunsystem und dem Cholesterin-Metabolismus [9]. Aus zellbiologischen Untersuchungen ist bekannt, dass die Cholesterin- und Sphingolipid-Stoffwechselwege direkt mit dem Amyloid-Stoffwechsel interagieren [10].

Eine entscheidende Rolle von Lipiden für die Pathophysiologie und Therapie depressiver Erkrankungen wird ebenfalls zunehmend klar. Omega-3-Fettsäuren scheinen antidepressive Mechanismen aufzuweisen [11], allerdings ist der Wirkungsmechanismus dieses Effekts trotz kürzlicher Fortschritte [12] [13] noch nicht abschließend geklärt. Viele unserer klinisch eingesetzten Antidepressiva greifen nachhaltig in den Lipidmetabolismus ein und hemmen z. B. die saure Sphingomyelinase [14]. Über die Hemmung dieses intralysosomalen Enzyms wird die Bildung des proapoptotischen Ceramids vermindert [15] [16].

Warum kommt es gerade jetzt zu einem Aufschwung der medizinischen Lipidforschung? Die bislang eingeengte Sichtweise auf Lipide als Energielieferanten und als Membranbestandteile wird zunehmend überwunden und auf eine aktive Rolle der Lipide als Signalmoleküle ausgeweitet: Viele Lipide sind Biosignalmoleküle, die an komplexen zellulären Regulationsprozessen beteiligt sind. Die Biochemie der Lipide ist komplex. Dies zeigt schon die Namensgebung der Sphingolipide, die früheren Wissenschaftlern geheimnisvoll und sphinxartig anmuteten. Aufgrund der komplexen Biochemie war auch die Analytik zeitaufwendig und kostspielig. Neue schnelle, preiswerte und differenzierte Methoden, wie MALDI-TOF [17], haben der Lipidforschung ebenfalls zu neuem Schwung verholfen. Und es werden zunehmend Medikamente bekannt, die spezifisch die Lipidsignalkaskaden beeinflussen.

Diese wenigen Beispiele zeigen, dass wir in den kommenden Jahren gerade im Bereich der Lipidforschung neue Erkenntnisse zur Pathophysiologie und Therapie neuropsychiatrischer Krankheitsbilder zu erwarten haben. Über die Entwicklung dieses Gebiets werden wir Sie weiter informieren.

Johannes Kornhuber

Literatur

  • 1 Kromhout D. Energy and macronutrient intake in lean and obese middle-aged men (the Zutphen study).  Am J Clin Nutr. 1983;  37 295-299
  • 2 Mukamal K J, Rimm E B, Kawachi I et al. Body mass index and risk of suicide among one million US adults.  Epidemiology. 2010;  21 82-86
  • 3 Pappolla M A, Bryant-Thomas T K, Herbert D et al. Mild hypercholesterolemia is an early risk factor for the development of Alzheimer amyloid pathology.  Neurology. 2003;  61 199-205
  • 4 Féart C, Samieri C, Rondeau V et al. Adherence to a Mediterranean diet, cognitive decline, and risk of dementia.  JAMA. 2009;  302 638-648
  • 5 Scarmeas N, Luchsinger J A, Schupf N et al. Physical activity, diet, and risk of Alzheimer disease.  JAMA. 2009;  302 627-637
  • 6 Ng T P, Gao Q, Niti M et al. Omega-3 polyunsaturated Fatty Acid supplements and cognitive decline: Singapore longitudinal aging studies.  J Nutr Health Aging. 2011;  15 32-35
  • 7 Morris M C, Evans D A, Bienias J L et al. Consumption of fish and n-3 fatty acids and risk of incident Alzheimer disease.  Arch Neurol. 2003;  60 940-946
  • 8 Harold D, Abraham R, Hollingworth P et al. Genome-wide association study identifies variants at CLU and PICALM associated with Alzheimer’s disease.  Nat Genet. 2009;  41 1088-1093
  • 9 Jones L, Holmans P A, Hamshere M L et al. Genetic evidence implicates the immune system and cholesterol metabolism in the aetiology of Alzheimer’s disease.  PLoS One. 2010;  5 e13950
  • 10 Grimm M O, Grimm H S, Patzold A J et al. Regulation of cholesterol and sphingomyelin metabolism by amyloid-beta and presenilin.  Nat Cell Biol. 2005;  7 1118-1123
  • 11 Appleton K M, Rogers P J, Ness A R. Updated systematic review and meta-analysis of the effects of n-3 long-chain polyunsaturated fatty acids on depressed mood.  Am J Clin Nutr. 2010;  91 757-770
  • 12 Lafourcade M, Larrieu T, Mato S et al. Nutritional omega-3 deficiency abolishes endocannabinoid-mediated neuronal functions.  Nat Neurosci. 2011;  14 345-350
  • 13 Darios F, Davletov B. Omega-3 and omega-6 fatty acids stimulate cell membrane expansion by acting on syntaxin 3.  Nature. 2006;  440 813-817
  • 14 Kornhuber J, Tripal P, Reichel M et al. Identification of new functional inhibitors of acid sphingomyelinase using a structure-property-activity relation model.  J Med Chem. 2008;  51 219-237
  • 15 Kornhuber J, Reichel M, Tripal P et al. The role of ceramide in major depressive disorder.  Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci. 2009;  259 S199-S204
  • 16 Kornhuber J, Tripal P, Reichel M et al. Functional inhibitors of acid sphingomyelinase (FIASMAs): a novel pharmacological group of drugs with broad clinical applications.  Cell Physiol Biochem. 2010;  26 9-20
  • 17 Fuchs B, Schiller J. MALDI-TOF MS analysis of lipids from cells, tissues and body fluids.. In: Quinn P J, Wang X, eds Lipids in Health and Disease.. Berlin: Springer Netherland; 2008: 541-565
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