Gesundheitswesen 2010; 72 - V149
DOI: 10.1055/s-0030-1266329

Die Erfassung von Kindesmisshandlung in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung

C Schmidt 1, A Schulz 1, H Grabe 1
  • 1Universität Greifswald, Greifswald

Hintergrund: Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen haben eine erhebliche individuelle, epidemiologische und gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Generationen übergreifend ist Missbrauch und Vernachlässigung dokumentiert. Dennoch ist die retrospektive Messung von Missbrauch im Kindesalter in der Erwachsenenbevölkerung angesichts veränderlicher gesellschaftlicher Normen sowie zeitgeschichtlicher Ereignisse komplex. Diese Komplexität wird unter Berücksichtigung inhaltlicher und psychometrischer Aspekte in einer Stichprobe der deutschen Allgemeinbevölkerung untersucht. Methode: Insgesamt 1819 Probanden der Study of Health in Pommerania (SHIP, 29–89 Jahre) beantworteten eine Kurzfassung des Childhood Trauma Questionnaire (CTQ) mit 25 Items/5 Subskalen: emotionaler, körperlicher, sexueller Missbrauch; physische, emotionale Vernachlässigung. Mittels deskriptiver Statistiken werden alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede aufgezeigt. Die psychometrische Qualität wird auf Basis konfirmatorischer Faktorenanalysen/Item-Response-Modellen analysiert. Mehrgruppenmodelle dienen zur Analyse der differentiellen Skalenstruktur nach Geschlechts- und Altersstraten (29–44; 45–64; 65–89). Ergänzend wird Cronbachs Alpha berichtet. Ergebnisse: Fast die Hälfte (45%) gibt mindestens ein häufig aufgetretenes Problemereigniss an. Die Items und Subskalen weisen charakteristisch unterschiedliche Alters- und Geschlechtswendigkeiten auf. Einer häufigeren Bejahung der Items zu sexuellem Missbrauch durch Frauen steht eine häufigere Bejahung der Items zu körperlichem Missbrauch durch ältere Männer gegenüber. Items der Kategorie physische Vernachlässigung werden wesentlich häufiger von Personen mit Kindheit und Jugend in den 40er Jahren positiv beantwortet. Die Faktorenstrukturen der Subskalen für emotionalen und körperlichen Missbrauch sowie für emotionale Vernachlässigung weisen nur geringe Unterschiede nach Alters- und Geschlechtsstraten auf, nicht aber die Subskala zu körperlichem Missbrauch. Abgesehen von letzterer Skala liegen die internen Konsistenzen der CTQ-Subskalen um 0,8. Fazit: Obwohl psychometrische Analysen auf die Verwendbarkeit des CTQ, mit Ausnahme der Subskala für körperlichen Missbrauch, in der Allgemeinbevölkerung hinweisen, ergeben sich klare Hinweise auf große Abhängigkeiten der Prävalenzen von gesellschaftlichen Normen und zeitgeschichtlichen Ereignissen.