Hintergrund: Es wird angenommen, dass Menschen mit Migrationshintergrund aufgrund der Migration
und des damit verbundenen akkulturativen Stresses ein höheres Stresslevel aufweisen
als Menschen ohne Migrationshintergrund. Dieses kann sich insbesondere in Umbruchsphasen
während des Lebenslaufs zeigen, wie z.B. beim Schulabschluss. Wir untersuchten, ob
es Unterschiede im Stresslevel zwischen Migranten der ersten und zweiten Generation
und Menschen ohne Migrationshintergrund gibt. Methodik: In einer Querschnittsbefragung im Rahmen der Bielefelder Abiturientenstudie wurden
im Jahr 2009 Daten zu 976 Abiturienten (12./13. Klasse) erhoben. In dieser Untersuchung
wurde die Variable Stresslevel als Summe von vier Fragen gebildet („Perceived Stress
Scale“ nach Cohen). Die endgültige Stressvariable enthielt drei Ausprägungen (geringes,
mittleres und hohes Stresslevel). Der Migrationshintergrund konnte anhand der Fragen
zum eigenen Migrationsstatus, zum Zuzugsjahr sowie zum Migrationsstatus der Eltern
ermittelt werden. Neben deskriptiven Analysen wurden ORs mithilfe von einfachen und
multiplen multinominalen logistischen Regressionsmodellen berechnet. Ergebnisse: 309 Abiturienten (31,7% von 976) wiesen einen Migrationshintergrund auf. Davon verfügten
90 über eine eigene und 219 über keine eigene Migrationserfahrung. Im Vergleich zu
den Abiturienten ohne Migrationshintergrund (16,6%) und den Migranten erster Generation
(18,4%) gaben 28,9% der Migranten zweiter Generation ein hohes Stresslevel an. In
der einfachen multinominalen logistischen Regression hatten Migranten zweiter Generation
im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund eine 1,89-fach erhöhte Chance,
ein hohes Stresslevel aufzuweisen (p=0,015; 95%-KI: 1,13–3,16) (erste Generation:
OR=1,01). Im multiplen Modell, adjustiert für Geschlecht, subjektiven Gesundheitszustand,
Bildung des Vaters und Vorhandensein von Lebensplänen nach der Schule lag das OR bei
1,53 (erste Generation: OR=0,74). Diskussion: In dieser Untersuchung weisen nicht die Migranten mit eigener, sondern diejenigen
ohne eigene Migrationserfahrung im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund
häufiger ein hohes Stresslevel auf. Dies kann dadurch begründet sein, dass bei den
Migranten der zweiten Generation ein stärkerer „Identitätskonflikt“ vorliegt, da sie
sich (im Vergleich zu Migranten der ersten Generation) einer kulturellen Identität
schwieriger zuordnen können.