Zusammenfassung
Das kritische Hinterfragen der klinischen und wissenschaftlichen Tätigkeit, um verzerrte
Auffassungen von Wirksamkeit, Nutzen und Risiken aufzudecken, ist nicht nur ein ethisches
Primat, sondern auch dringendes Gebot der heutigen Zeit, in der Innovationen in der
Medizin häufig nur noch zu marginalen Verbesserungen des Patientennutzens führen.
Zur besseren Beurteilung der Wertigkeit von erzielten Studienergebnissen wurde nach
dem Vorbild der Schweizerischen Gesellschaft für Orthopädie erstmals auch beim DKOU-Jahreskongress
2007 das pragmatische Evaluationskonzept der „EbM-Kommentare“ in die Präsentationskultur
des Kongresses eingeführt. Der EbM-Kommentar ist eine sorgfältig vorbereitete, kritische
Würdigung durch einen methodisch in evidenzbasierter Medizin geschulten Kollegen im
Anschluss an eine Präsentation auf dem Kongress. Er besteht aus 3 Komponenten und
beginnt mit einer systematischen Analyse nach dem SPION-Prinzip: Welcher Studientyp
wurde gewählt? Welche Personen oder Patienten wurden wann in die Studie eingeschlossen?
Welche Interventionen wurden vergleichend geprüft? Welche Outcomevariablen wurden
wann an letztlich wie viel Patienten untersucht? Welchen Nutzen kann man aus der Studie
für die eigene Praxis ableiten und wie groß ist der Nutzen für den Patienten? Auf
die Beschreibung, die Berechnung und die Bewertung des eigentlichen Patientennutzens
wird besonderer Wert gelegt. Anschließend folgen eine Beurteilung der Stärken und
Schwächen sowie eine hierarchische Einschätzung der Studie bezüglich deren Konsequenzen
auf den klinischen Alltag. Im besten Fall können stark überzeugende Studienresultate
direkt zu einer Änderung der weiteren praktischen Tätigkeit führen, im schlechtesten
Fall wird man mit einer „so what“-Studie konfrontiert, deren methodische Mängel ganz
offensichtlich zu einer klaffenden Diskrepanz zwischen Studienanlage und Aussage geführt
haben. Dem Publikum bietet der EbM-Kommentar eine Hilfestellung bei der Frage, ob
die Studie eher dem „Weizen“ oder der „Spreu“ zuzuordnen ist. Speziell ausgebildete
EbM-Kommentatoren erhalten 4 Wochen vor dem Kongress den vollständigen durch die Kongressorganisatoren
ausgewählten Vortrag zwecks sorgfältiger Vorbereitung ihres Kommentars. Unter dem
Leitsatz „stark in der Sache, angenehm in der Art“ versucht der Kommentator, einerseits
vorgetäuschten Nutzen aufzudecken oder Verzerrungen zu relativieren, anderseits die
durch den Vortragenden nicht erkannten Aussagemöglichkeiten der Studie zu fördern.
Die besten Arbeiten werden am DKOU jährlich mit dem EbM-Preis nach Juryentscheid ausgezeichnet.
Die Erfahrungen aus den bisherigen Bemühungen haben erfreulicherweise gezeigt, dass
die Autoren sich vermehrt einer moderateren Tonlage und einer vorsichtigeren Aussage
ihrer Forschungsergebnisse befleißigen, gelegentlich sogar eine selbstkritische Formulierung
von vorneweg in ihre Präsentation einbauen. Das pragmatische und praktikable Format
hat sehr schnell eine gute Akzeptanz auch auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie
und Unfallchirurgie gefunden.
Abstract
The critical appraisal of clinical and scientific work to assure the effectiveness
and to balance the risks of treatment are mandatory today. Recent innovations in medicine
often lead only to minor improvement in patient benefit. For the better understanding
of the presented study results, the EbM commentary was introduced in 2007 at the Annual
Meeting of the German Society of Orthopaedics and Traumatology. The EbM commentary
was developed within the Swiss Orthopaedic Society and is a vital part of the Annual
Meetings. The EbM commentary is a carefully prepared critical appraisal of an orally
presented study by a specially trained colleague. The commentary consists of three
components and begins with a systematic analysis following the SPION principle. What
kind of study was carried out? Which patients were enrolled in the investigation?
What kind of interventions were compared? How was the outcome measured? What is the
benefit of the study for my own practice and what is the benefit for the patient?
The reporting and the evaluation of the patient benefit is of great interest. In the
second step the strengths and weaknesses of the study were discussed and the study
will be rated for their evidence. For the best case the presented study implies direct
changes in the usual treatment of patients. In the worst case no changes are necessary
and the study is rated “so what” because of methodological weaknesses making the drawn
conclusions invalid. For the audience the EbM commentary may support their rating
of the quality of the presented study. The congress team selects interesting presentations
for the EbM commentary. The EbM commentators receive the oral presentation and in
most cases additional information from the selected studies four weeks in advance
of the meeting. The EbM commentary is focused on a precise analysis of the presented
data in an open and pleasant discussion. The aim of the EbM commentary is to clearly
point out the patient benefit and to disclose the biases and weaknesses. The best
studies of the DKOU were awarded following the suggestion of the EbM jury. The experiences
have shown some methodological improvement of the presentations. The pragmatic style
of the EbM commentary has led to good acceptance at the Annual Meeting of the German
Society of Orthopaedics and Traumatology.
Schlüsselwörter
evidenzbasierte Medizin - EbM‐Kommentar - Patientennutzen - Outcomemessung
Key words
evidence‐based medicine - EbM commentary - patient benefit - outcome
Literatur
1
Dubs L.
[Der Patient als Experte – Einführung in die Evidenz basierte Orthopädie].
Z Orthop Ihre Grenzgeb.
2000;
138
289-294
2
Dubs L.
Teure Medizin ist schlechte Medizin.
Schweiz Ärztezeitung.
2007;
88
1638-1640
3 World Health Organisation (WHO) .International Classification of Impairments, Disabilities
and Handycaps. Berlin, Wiesbaden: Ullstein Mosby; 1995
4 Feinstein A R. Clinimetrics. New Haven: Yale University Press; 1987
5
Lorenz W, Troidl H, Solomkin J S et al.
Second step: testing-outcome measurements.
World J Surg.
1999;
23
768-780
6 FDA & U.S. Department of Health and Human Services .Guidance for Industry. Patient-reported
outcome measures: Use in medical product development to support labelling claims (19.
1. 2006). Im Internet: http://www%20fda%20gov/CDER/GUIDANCE/5460dft Stand: 2006
7
Koller M, Neugebauer E A, Augustin M et al.
[Die Erfassung von Lebensqualität in der Versorgungsforschung – konzeptuelle, methodische
und strukturelle Voraussetzungen].
Gesundheitswesen.
2009;
71
864-872
8 Dubs L. Der EBM Kommentar. In: Dubs L, Hrsg. Orthopädie an der Schwelle. Bern:
Hans Huber; 2000: 27-30
Dr. Luzi Dubs
Praxis Facharzt Orthopädische Chirurgie
Merkurstrasse 12
8400 Winterthur
Schweiz
Phone: +41/52/2 13 22 23
Fax: +41/52/2 12 58 04
Email: dubs.luzi@bluewin.ch