Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2011; 21(2): 99-102
DOI: 10.1055/s-0031-1271783
Aus der Praxis

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rehabilitationspotenzial eines langjährig pflegebedürftigen Patienten und Möglichkeiten einer multimodalen und interdisziplinären Rehabilitation. Einzelfalldarstellung

Successful Multimodal and Interdisciplinary Rehabilitation of a Patient Who Had Been in Need of Care for About 10 YearsJ. Duckstein1
  • 1MEDIAN Klinik Hoppegarten, Rehabilitationsklinik für Orthopädie, Rheumatologie und Schmerztherapie, Hoppegarten
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Publication History

eingereicht 03.11.2010

angenommen 31.01.2011

Publication Date:
10 May 2011 (online)

Zusammenfassung

Ein 62-jähriger Patient hatte während der Arbeit eine Kopfschussverletzung erlitten und war seither circa 10 Jahre in einem Pflegeheim hospitalisiert. Er erhielt, nach Implantation eines Blasenstimulators und verbesserter Kontinenz durch Toilettentraining, die Möglichkeit einer interdisziplinären Rehabilitationsmaßnahme mit dem Ziel schrittweise die Bewältigung des Alltags zu verbessern und die Selbstständigkeit zu fördern. Durch den intensiven multimodalen Ansatz konnte der Patient aus dem Pflegeheim in die Häuslichkeit mobilisiert werden und erlangte neue Lebensqualität. Zugleich gelang es die kostspieligen Pflegeaufwendungen langfristig zu senken. Insbesondere wird die große Bedeutung einer individuellen Betreuung durch den Kostenträger eine enge Kommunikation zwischen diesem, der Rehabilitationseinrichtung, dem Patienten und dessen Familie sowie einer optimalen familiären Einbettung des Patienten deutlich.

Abstract

A 62-year-old patient was shot in the head at work approximately 10 years ago. Since that time he had been hospitalized in a nursing home. After the implantation of a neuro-modulator and after having received toilet-training to improve continence, he was given the chance to receive an interdisciplinary rehabilitation. Because of an intensive and multimodal therapy concept the patient was able to leave his nursing home after 10 years and was able to return home to his wife and thus gained a new quality of life. At the same time it was possible to save high nursing expenses and to spend it for a long-term out-patient program. In order to reach such a rehabilitation success, we see an urgent need for an intensive communication between the rehabilitation clinic, the cost unit (insurance company), the patient and the patient's family. Last but not least, a supporting family background is very helpful.

Literatur

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1 §31 SGB XI

2 SGB IX

3 Name anonymisiert

Anhang

Sicht der berufsgenossenschaftlichen Betreuung

Am 02.12.1998 erfolgte der telefonische Erstkontakt der Rehabetreuung mit der Intensivstation des behandelnden Krankenhauses. Besprochen wurde aufgrund der massiven neurologischen Schädigungen nach Verlust erheblicher Hirnareale nach Schussverletzung die zeitnahe Verlegung in eine fachneurologische Reha-Klinik. Aufgrund der Notwendigkeit von Folgeoperationen wurde der Vers. zwischen der neuro-chirugischen Fachklinik und der Rehabilitationseinrichtung verlegt. Die Verlegungen wurden von der BG eingeleitet und mit allen Betroffenen abgestimmt.

Am 03.08.1999 wurde im Rahmen einer Fallkonferenz festgestellt, dass das Reha-Potenzial vorerst erschöpft ist und eine dauerhafte Verlegung in ein Pflegeheim unumgänglich ist.

In Zusammenarbeit mit der betreuenden Ehefrau wurde ein Pflegeheim für den Versicherten gesucht und ein individuelles Pflegekonzept erarbeitet. Schwerpunkt war mit physikalischer Unterstützung die Pflegedürftigkeit langfristig zu reduzieren. Ein besonderes Augenmerk wurde auch auf eine konsequente logopädische Betreuung gelegt.

Ab dem 15.05.2000 wurde eine Unfallrente bei einer MdE von 100% gewährt, ein Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung bei der Rentenversicherung gestellt.

Der Versicherte wurde in den nachfolgenden Jahren ca. alle 9 Monate von dem zuständigen Reha-Betreuer besucht. Bei diesen Besuchen war nach Möglichkeit die zuständige Sachbearbeitung vor Ort. Dadurch wurde gewährleistet, dass die betreuende Ehefrau auf kurzem Weg den zuständigen Ansprechpartner persönlich kannte und der Weg der Bürokratie abgekürzt werden konnte. Auch wurde deutlich, dass ein verbessertes Problembewusstsein Grundlage für eine bedarfsgerechte, aber auch zügige Versorgung des Versicherten, wurde.

Durch die vertrauensvolle und engagierte Zusammenarbeit mit der Ehefrau konnte von Verwaltungsseite die kleinschrittige Genesung des Vers. begleitet und zielgerichtet optimiert werden. In den Jahren erfolgten mehrere Rehabilitationsaufenhalte in speziellen Reha-Kliniken, die zu einer langsamen, aber stetigen, gesundheitlichen Verbesserung beigetragen haben. Die Versuche, den Versicherten aus einem geriatrischen Pflegeheim in eine andere stationäre Einrichtung für die Betreuung Schädel-Hirn-Verletzter zu verlegen, scheiterten aus vielfältigen Gründen. Mal war die räumliche Distanz für die Ehefrau unzumutbar, um den stetigen Kontakt zum Ehepartner aufrecht zu erhalten oder die Einrichtung verweigerte eine Aufnahme mit der Begründung der nicht ausreichenden Stabilisierung des Versicherten.

Im Januar 2007 gelang durch die Wiedererlangung der Stuhlkontinenz ein erheblicher Erfolg in der Minimierung der Pflegebedürftigkeit. Der Vers. stabilisierte sich zudem psychisch und der über die Jahre zwar vorhandene Wille zur Genesung wurde nun deutlich. Der Vers. konnte sich besser artikulieren und auch die Nahrungsaufnahme gelang problemlos. Dank der unermüdlichen Bemühungen der Ehefrau und der Physio-/Ergotherapie gelang auch eine Verbesserung der Mobilität mit zeitweisen Verlassen des Rollstuhls.

Im neurologischen Zentrum wurde dann eine Neuromodulation implantiert und die Harninkontinenz konnte beseitigt werden. Diese Verbesserung der Lebensqualität war der Wendepunkt in der gesamten Rehabilitation. Bei einem Besuch am 25.05.2009 imponierte der Vers. durch seinen Drang, dass Pflegebett verlassen zu wollen und wieder am Leben teilhaben zu wollen. Es erfolgte dann ein Gespräch in der Rehabilitationsklinik am 25.06.2009 mit der Zielstellung der weiteren Mobilisation und Minimierung der Pflegebedürftigkeit aber auch mit der etwaigen Aussicht auf Entlassung nach Hause.

Um das erreichte Rehabilitationsniveau zu halten und auch um die Ehefrau zu entlasten, wurde mit der Klinik vereinbart, dass der Vers. nach der erfolgreichen Rehabilitation alle 2 Wochen für 2 Tage in der Klinik aufgenommen und physikalisch beübt wird. Die ambulante logopädische Begleitung läuft ebenfalls weiter.

Gustav Pruß

Korrespondenzadresse

Dr. med. J. Duckstein

MEDIAN Klinik Hoppegarten

Rehabilitationsklinik für

Orthopädie, Rheumatologie

und Schmerztherapie

Rennbahnallee 107

15366 Hoppegarten

Email: rehaklinik.hoppegarten@median-kliniken.de

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