Obwohl die Migräne gemäß der Klassifikation der International Headache Society eine
der häufigsten primären Kopfschmerzerkrankungen ist, konnte die Pathophysiologie und
Ätiologie bis heute nicht hinreichend ermittelt werden. Die Störung von Calciumkanälen
auf zellulärer Ebene, ähnlich wie bei hereditären Kleinhirnerkrankungen scheint hier
jedoch eine Rolle zu spielen. In Anlehnung an genetische und klinische Studien zur
cerebellären Beteiligung bei der Migräne-Erkrankung erfolgte eine standardisierte
Ganganalyse bei Migräne-Patienten mit und ohne Aura (n=29) im attackenfeien Intervall,
sowie bei gesunden Probanden einer Kontrollgruppe (n=19). Die Analyse erfolgte einerseits
mithilfe eines von Trouillas et al. 1997 entwickelten Ataxie-Score's sowie andererseits
mit einer standardisierten Ganganalyse mittels Infrarot-Kamera-Messung (ProReflex®
System) auf einem Laufband im Seiltänzergang. Dabei erzielten die Migräne-Patienten
signifikant schlechtere koordinative Ergebnisse gegenüber den gesunden Probanden mit
mehr Fehltritten pro Minute, einer niedrigeren Schritthöhe sowie einer signifikant
höheren Abweichung von der optimalen Wegstrecke. Die Migräne-Patienten mit Aura erzielten
dabei im Mittel schlechtere Resultate als diejenigen ohne Aura. Vergleichbare Ergebnisse
erbrachten die Publikationen von Sandor et al. 2001 und Harno et al. 2003 für Ziel-Greif-Bewegungen
der oberen Extremität. Im retrospektiven Vergleich der Ergebnisse mit identisch durchgeführten
Ganganalysen bei cerebellär erkrankten Patienten (n=8) erzielen diese deutlich schlechtere
koordinative Ergebnisse als die gesunden Probanden. Die Unterschiede zu den Migräne-Patienten
fallen jedoch deutlich geringer aus. Des Weiteren konnten signifikante Korrelationen
zwischen der Ausprägung der koordinativen Defizite und der Erkrankungsdauer, Attackendauer,
Attackenfrequenz sowie der Intensität der Migräne-Erkrankung ermittelt werden.
In Zusammenschau der Ergebnisse ergaben sich folglich weitere Hinweise für eine cerebelläre
Mitbeteiligung an der Pathophysiologie der Migräne-Erkrankung.