manuelletherapie 2011; 15(3): 94
DOI: 10.1055/s-0031-1273479
Leserbrief

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Leserbrief zu: Van Minnen J. H. Editorial: Gedanken über die Akademisierung in der Physiotherapie

F. van den Berg1
  • 1IAOMT – Internationale Akademie für Osteopathische und Manuelle Therapie
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Publication History

Publication Date:
25 July 2011 (online)

manuelletherapie 2011; 15: 49

Hallo Jan Herman,

mit großem Interesse habe ich Dein Editorial gelesen und muss sagen, Du hast mir aus dem Herzen gesprochen. Ich bin ganz Deiner Meinung, dass die Akademisierung der Physiotherapie eine sehr gute und notwendige Entwicklung war und ist. Wir brauchen Kollegen, die in der Lage sind, klinische Studien durchzuführen, anhand derer sich die Effektivität der Physiotherapie nachweisen lässt.

Aber: Wir benötigen auch weiterhin Kollegen, die mit großer fachlicher Kompetenz und Können die Patienten behandeln, weil wir nun einmal daran gemessen werden und wofür wir letztendlich ausgebildet sind. Es reicht nicht, wenn Physiotherapeuten wissen, wie ein Patient zu behandeln und was evidenzbasierte Best Practice ist, wenn sie nicht in der Lage sind, die Techniken korrekt und in der richtigen Dosierung durchzuführen.

Wir brauchen in diesem Beruf Wissenschaftler, die klinische Fragestellungen beantworten können. Diese klinischen Fragestellungen kommen von Therapeuten, die im klinischen Alltag ständig mit Patienten und deren Problemen konfrontiert sind. Hier entstehen die Fragen, die unsere wissenschaftlich tätigen Kollegen beantworten müssen. Es bringt unsere Berufsgruppe, aber vor allem die Patienten jedoch nicht weiter, wenn wir irgendwann nur noch Kollegen mit weitreichenden theoretischen Kenntnissen (großer Kopf), aber wenig fachlichen Kompetenzen haben (2 linke Hände).

In meinen Kursen ebenso wie in den von mir unterrichteten Studiengängen mache ich die Erfahrung, dass die fachlichen Kompetenzen immer weniger und schlechter werden. Natürlich gibt es auch positive Ausnahmen und Naturtalente, aber insgesamt sinkt das Niveau eher. Deshalb bin ich nur in einem winzigen Punkt anderer Meinung. Ich habe nicht den Eindruck, dass das Niveau gleich bleibt, sondern vielmehr tatsächlich schlechter wird.

Erstens ist gerade in Österreich zu sehen, wo ich selbst als Dozent in einigen Physiotherapieausbildungen tätig bin, dass die Zahl an Unterrichtsstunden in physiotherapeutischen Fächern gekürzt wird, um mehr Zeit für den Unterricht in wissenschaftlichen Fächern zu haben. Damit steht wirklich schlicht und einfach weniger Zeit für den Unterricht im praktischen Handeln zur Verfügung. Dies macht sich letztendlich bei den betreffenden Therapeuten bemerkbar, wenn sie in der Praxis tätig sind und in Weiterbildungskursen erscheinen.

Zweitens merke ich auch in den Kursen bei Gesprächen mit Kollegen immer wieder, dass die in praktischen Fächern unterrichtenden Lehrer immer noch ihre vor vielen Jahren in Weiterbildungskursen angeeigneten Kenntnisse weitergeben. Tatsache ist aber, dass der vor z. B. 10 Jahren in Kursen zu Manueller Therapie, FBL oder PNF vermittelte Unterrichtsstoff nicht mehr unbedingt dem heutigen Wissensstand entspricht. Auch das ist meiner Meinung nach ein Grund für das tendenziell eher schlechter werdende Niveau der Teilnehmer.

Es wäre wirklich empfehlenswert, wenn Dozenten von Physiotherapieausbildungen regelmäßig ihre Kenntnisse in ihren unterrichteten Fächern auffrischen bzw. aktualisieren würden. Auf diese Weise bekämen unsere Schüler in den praktischen Fächern den aktuellen Wissensstand vermittelt.

Auch die theoretische Unterbauung der praktischen Fächer könnte sicherlich aufgefrischt werden. Das stelle ich ebenfalls immer wieder in meinen Physiologiekursen fest, deren Teilnehmer oft sehr überrascht auf meine unterrichteten „neuen” Erkenntnisse reagieren, die aber in Wahrheit meistens schon 10 Jahre oder länger bekannt sind.

Abschließend möchte ich mich nochmals herzlich für Deine mutigen Einwände, Bedenken und Ideen bedanken.

Frans van den Berg

PT MT OMT B.Sc., Senior Instruktor Orthopädische Manuelle Therapie, Gründer und Lehrer der IAOMT-Kursreihe Klinisches Patientenmanagement

Oberschwand 11

4893 Zell am Moos

Österreich

Email: frans.vandi@@zell-net.at

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