Gesundheitswesen 2011; 73 - A305
DOI: 10.1055/s-0031-1283444

Analyse hausärztlicher Beratungstätigkeit übergewichtiger und adipöser Patientinnen und Patienten hinsichtlich der Patientenzentrierung im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung (Check-up 35)

S Fahrenkrog 1, J Wiesner 2, U Sonntag 2, K Spyra 1, B Babitsch 3, C Heintze 4
  • 1Charité Universitätsmedizin Berlin/Abteilung für Versorgungssystemforschung und Grundlagen der Qualitätssicherung in der Rehabilitation, Berlin
  • 2Charité Universitätsmedizin Berlin/Institut für Allgemeinmedizin, Berlin
  • 3Berlin School of Public Health, Berlin
  • 4Charité Universitätsmedizin Berlin/Institut für Allgemeinmedizin, Berlin

Hintergrund: Übergewicht und Adipositas sind aufgrund einer hohen, steigenden Prävalenz, zahlreicher Begleit- und Folgeerkrankungen sowie daraus resultierender hoher volkswirtschaftlicher Kosten von großer Public-Health-Relevanz. Bisher fehlen nachhaltige Therapien, wobei die multifaktorielle Ätiologie eine langfristige Betreuung erforderlich macht. Dabei ist – aufgrund der besonderen hausärztlichen Betreuungssituation – die Rolle der Hausärztin/des Hausarztes zu diskutieren. Hierfür wurde die hausärztliche Beratungstätigkeit mit übergewichtigen und adipösen Patientinnen und Patienten hinsichtlich der Patientenzentrierung und partizipativer Entscheidungsfindung analysiert. Außerdem wurde das für die Erfassung der Patientenzentrierung entwickelte Messinstrument anhand testtheoretischer Gütekriterien beurteilt. Daten und Methoden: Analysiert wurden 58 Arzt-Patienten-Gespräche zwischen Hausärztinnen/Hausärzten und Patientinnen/Patienten (BMI >25kg/m2) aus Berlin/Brandenburg. Die abschließenden Beratungsgespräche bei der Gesundheitsuntersuchung wurden aufgezeichnet und transkribiert sowie von unabhängigen Ratern beurteilt: Der Aspekt der partizipativen Entscheidungsfindung wurde mit der validierten OPTION-Scale (Elwyn et al., 2005) erfasst, zur Einschätzung der Patientenzentrierung wurde eine neue Skala theoriegeleitet entwickelt. Ergebnisse: Die OPTION-Scale (Mittelwert=8,52) sowie die Skala zur Patientenzentrierung (Mittelwert=12,33) zeigten bei 48 bzw. 44möglichen Punkten eine geringe Ausprägung, insbesondere hinsichtlich der ärztlichen Berücksichtigung von Emotionen und Anliegen der Patientinnen/Patienten. Bei beiden Skalen ergaben sich signifikante Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts und der Person der Ärztin/des Arztes. Ärztinnen hatten im Mittel höhere Werte als Ärzte. Patientenseitige Parameter zeigten keinen Einfluss. Die Skala zur Patientenzentrierung weist eine gute interne Konsistenz (Cronbachs Alpha=0,903) sowie eine gute Inhalts- und Kriteriumsvalidität auf. Eine explorative Faktorenanalyse ergab eine zweifaktorielle Struktur der Skala zur Patientenzentrierung. Diskussion: Die geringe Patientenzentrierung der hausärztlichen Beratung übergewichtiger und adipöser Patientinnen/Patienten kann auf ungenügende Kommunikationskompetenzen, geringes Wissen über Adipositas sowie möglichen Zeitmangel seitens der Ärztinnen/Ärzte zurückgeführt werden. Eine Verbesserung der Kommunikationsfähigkeiten und Erweiterung der Kenntnisse über Adipositas bei Hausärztinnen/Hausärzten erscheint sinnvoll, um eine effektive Betreuung betroffener Patientinnen/Patienten langfristig zu gewährleisten. Die Skala zur Patientenzentrierung kann zu explorativen Zwecken als brauchbar bewertet werden.

Literatur:

Elwyn, G., Edwards, A., Wensing, M. & Grol, R. (2005). Share Decision Making. Measurement Using the OPTION Instrument. 2005 Version. Wageningen: Ponsen and Looijen BV