Suchttherapie 2011; 12 - S10_1
DOI: 10.1055/s-0031-1284527

Schein und Wirklichkeit in der Epidemiologie – Warum werden seit Jahrzehnten bekannte Erkenntnisse in der angewandten Forschung ignoriert?

A Uhl 1
  • 1Anton Proksch Institut, Wien, Österreich

Seit vielen Jahrzehnten ist bekannt und von berühmten Statistikern publiziert, dass bei der empirischen Erfassung von Prävalenzen und in der Veränderungsmessung gravierende systematische Fehler auftreten. Diese Erkenntnisse werden im angewandten Forschungsalltag aber weitestgehend ignoriert, obwohl sich die Verzerrungen mittels einfacher Wahrscheinlichkeitsrechnung nachweisen lassen und sogar leicht zu handhabende Korrekturformeln entwickelt werden können. Derartige Korrekturen scheitern allerdings in der Regel daran, dass die Reliabilität und Validität der verwendeten Messmethoden unter vergleichbaren Kontextbedingungen meist unbekannt sind und es in vielen Fällen nicht oder nur unter sehr großem Aufwand möglich wäre, die dafür notwenigen Grundlagen zu erheben. Aufbauend auf diese Überlegungen kann fundiert geschlossen werden, dass die inhaltliche Interpretation von umfragegenerierten Niedrigprävalenzen im Bereich des Substanzgebrauches der Bevölkerung eher der numerologischen Esoterik als der seriösen Wissenschaft zuzuordnen ist. Ferner kann gezeigt werden, dass jene empirischen Befunde, die bei Suchtphänomenen zwei Drittel Spontanremission pro Jahr postulieren, über das reale Phänomen der Heilung ohne professionelle Hilfe keinerlei relevante Aussagekraft haben.