Suchttherapie 2011; 12 - S23_5
DOI: 10.1055/s-0031-1284580

Wie entwickelt sich Medien- und Internetsucht – Spieldynamik und Psychodynamik bei Adoleszenten

O Bilke-Hentsch 1
  • 1Schweizer Institut für Suchtfragen und Therapie von Abhängigkeitserkrankungen Kind.Jugend.Familie (SISTA-K.J.F.), Frauenfeld, Schweiz

Pathologischer Mediengebrauch (PMG) wird als adoleszentärer Risikofaktor diskutiert. Während unter klassifikatorischem Aspekt dieses Themengebiet kontrovers zu sehen ist, stellt sich in der klinischen Jugendpsychiatrie die Frage nach adäquater multiaxialer Diagnostik, um bei schweren Fällen mit monatelanger Schulabstinenz, völligem sozialem Rückzug und langfristigem Abgleiten in Parallelwelten passende Interventionen zu planen. Konfliktuöse Beziehungen Jugendlicher zu ihrer Herkunftsfamilie bedürfen hierbei einer psychodynamischen Abklärung. Aus entwicklungsdynamischer Sicht ist zu postulieren, dass Jugendliche mit Identitätskonflikten in MMPORGs passagere Identitätsangebote finden. Sie sind weniger durch altersentsprechende phasentypische Faszination, sondern durch dynamisch verstehbare Konflikt-Muster geprägt. Aus vorübergehender Identitätsannahme resultiert ein Verbleiben in einer alternative Identitäten anbietenden „online-Welt“. Dieses „falsche Selbst“ bietet virtuellen Reichtum und faktische Folgenlosigkeit, die die „offline-Welt“ mit Anforderungen nach Schulabschluss, Gestaltung von Partnerschaften und Sexualität, Ablösung vom Elternhaus, Berufsfindung und anderen Themen nicht bietet. Ob neben alterstypischen Autonomiekonflikten die Versorgungs-Autarkiekonflikte eine Rolle spielen, bedarf weiterer Erforschung. Im familiären Alltag der Internetabhängigen sind Themen wie Ernährung, Körperpflege, Verantwortungs-übernahme für die eigene Versorgungssituation, finanzielle Themen (Flatrate-Bezahlung etc.) von höchster interaktioneller Wichtigkeit. Einzelne Spieler mit diesem Konflikttypus übernehmen in den Gilden stark versorgende und wenig kämpferische Rollenmuster. Insgesamt ist hypothetisch zu vermuten, dass sich in Multipersonenrollenspielen innerhalb der Gilden junge Menschen zusammen finden, die ähnliche oder komplementäre Konfliktmuster aufweisen und diese spielerisch ausagieren bzw. wechselseitig komplementär ausgleichen bzw. szenisch pathodynamisch verstärken.