Zeitschrift für Phytotherapie 2011; 32(4): 151
DOI: 10.1055/s-0031-1287669
Editorial
© Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Pflanzliche Adaptogene kontra »Burn-out-Syndrom«

 Volker Schulz
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Publication Date:
29 August 2011 (online)

Zum Leben jedes Menschen gehören Phasen erhöhter physischer und psychischer Anforderungen. Deren erfolgreiche Bewältigung prägt ohne zu schaden, sofern dabei das rechte persönliche Maß nicht überschritten wird, hat doch die Natur die Menschen ziemlich unterschiedlich mit Vitalität bedacht. Das weiß eigentlich auch jeder, aber mancher wird erst daran erinnert, wenn er wieder einmal »alles allein am Halse hat«. In schweren Zeiten wird die Not geteilt. In besseren Zeiten neigen aber Einzelne dazu, alle Last auf sich zu ziehen – und bekommen ein »Burn-out-Syndrom«. Der sarkastische Halbsatz möge bitte niemanden verletzen! Offenkundig ist aber, dass dieses Mode-Syndrom unserer Zeit vor allem hausgemachte Ursprünge hat.

Die praktische Konsequenz daraus ist klar: Vorbeugung im Sinne der Lebensführung steht vor Therapie; sofern Letztere nötig wird, haben nichtmedikamentöse Maßnahmen Vorrang vor medikamentösen. Vor diesem Hintergrund bewegt sich ein Burnout- Themenheft der Zeitschrift für Phytotherapie in einem kleinen Randsektor zur Bewältigung des Syndroms. Einigen pflanzlichen Drogen und daraus hergestellten Zubereitungen werden »adaptogene« Wirkungen zugeschrieben. Solche »Adaptogene« sollen den Organismus widerstandsfähiger machen gegenüber physikalischen, chemischen und biologischen sowie psychischen »Stressoren«. Der Endokrinologe Hans Selye beschrieb in diesem Zusammenhang bereits 1946 ein Adaptationsmodell mit den Stufen »Alarm«, »Widerstand« und »Erschöpfung«. Die dritte und letzte Phase entspricht weitgehend dem heutigen »Burn-out-Syndrom«. Selye forderte von therapeutisch anzuwendenden »Adaptogenen«, dass diese die individuelle »Stresstoleranz« steigern sollten, verbunden mit den folgenden Wirkqualitäten:

»Unschädlich« im Sinne minimaler Störungen der physiologischen Körperfunktionen; »Unspezifisch« im Sinne der Resistenzsteigerung gegen physikalische, chemische und biologische Noxen; »Normalisierend«, d.h. unabhängig von der pathophysiologischen Ausgangslage »hoch« oder »tief«.

Diesen Idealen entspricht bis heute noch kein einziger Arzneistoff. Einige Phytopharmaka kommen dem aber nahe. An erster Stelle ist dabei die Wurzel des Ginseng (Panax ginseng) zu nennen, die bereits seit über 2000 Jahren einen festen Platz in der traditionellen Heilkunde Ostasiens hat. Drei Beiträge dazu finden sich in diesem Heft (S. 168, 171 und 172), darunter ein Referat über eine aktuelle Studie zur Frage der Anwendungsdauer. Im letzten Jahrzehnt hat in Europa die Rosenwurz (Rhodiola rosea) auf sich aufmerksam gemacht. Die mehrjährige Pflanze stammt aus dem nördlichen Polarkreis. Zubereitungen aus der Wurzel werden traditionell in Sibirien und in den skandinavischen Ländern als Mittel zur universellen Stärkung und Erhöhung der Widerstandskraft verwendet. Rhodiola rosea wurde aufgrund ihres späten Eingangs in die deutsche Phytotherapie nicht mehr von der Kommission E bewertet. Zugelassene Fertigarzneimittel sind gegenwärtig auch noch nicht in Deutschland im Handel. Aktuelle klinische Studien mit Rhodiola-Extrakt wurden aber schon mehrfach (2008, 2009, 2011) in unserer Zeitschrift referiert. Ein Übersichtsbeitrag zu den Studien findet sich in diesem Heft (S. 161). Den pflanzlichen Adaptogenen zuzurechnen ist auch der »sibirische Ginseng« (Eleutherococcus senticosus), ein im Norden Russlands vorkommender, bis etwa 2–3 m hoch werdender Strauch, der entfernt mit dem asiatischen Ginseng verwandt ist (siehe dazu auch S. 164 und 172). Partiell steigernd auf die Resistenz wirken im Sinne von Selye auch Mistel, Sonnenhut sowie weitere pflanzliche Drogen, die hierzulande noch weniger bekannt sind.

Zum Schluss noch eine ganz private Anmerkung des Autors: Dieses ist mein letztes Editorial für die ZPT. Ende des Jahres 2011 werde ich als Mitherausgeber der Zeitschrift ausscheiden. Bei Ihnen, meine lieben Leser, möchte ich mich an dieser Stelle schon für Ihre Treue bedanken. Meinen geschätzten Kolleginnen und Kollegen aus dem Verlag und dem Herausgeberkreis wünsche ich eine glückliche Hand bei der Weiterführung der Zeitschrift.

Volker Schulz

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