Zeitschrift für Palliativmedizin 2011; 12(05): 189-190
DOI: 10.1055/s-0031-1287716
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Liebe Leserinnen und Leser,

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Publication Date:
20 September 2011 (online)

 

gratulieren möchte ich Frau Jansky, Frau Lindena und Herrn Nauck zur Veröffentlichung ihrer sehr mühsamen Arbeit einer Zusammenstellung und Analyse bestehender SAPVVerträge für die Versorgung erwachsener Palliativpatienten. Ihre Arbeit wirft die Frage auf, ob es wirklich Zufall war, dass die Gesetzgebung zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) Teil des "Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung" wurde, welches im April 2007 in Kraft getreten ist.

Wettbewerb kann sehr motivierend und positiv sein, letztendlich basieren große Teile unseres Wohlstandes auf dem Wettbewerb. Zunehmend werden jedoch auch berechtigt kritische Fragen gestellt. Ist es sinnvoll, Milch aus Bayern zum Verzehr nach Kiel zu bringen? Brauchen wir wirklich Tausende von Stromtarifen und wer versteht diese noch? Die dunklen Seiten des Wettbewerbs, ökologischer Wahnsinn und Verbraucherverwirrung, rufen nach Regelmechanismen, die unsere soziale Marktwirtschaft durchaus zur Verfügung hat. Ähnlich verhält es sich bei den Verträgen zur SAPV erwachsener Patienten. Die Motivation der GBA-Richtlinie "gewachsene Strukturen" zu berücksichtigen, war sicherlich eine gute, sind damit doch gewachsene Versorgungsstrukturen gemeint. Leider wurden aber insbesondere die "gewachsenen Strukturen" innerhalb der Bundesländer, Krankenkassen und KV-Bezirke berücksichtigt. Diese Strukturen sind so mächtig, dass ein ungerechtes Vergütungssystem innerhalb der SAPV entstanden ist, und mit großer Wahrscheinlichkeit gleiche Leistung ungleich entlohnt wird – eine Frage, die die Arbeitsgruppe um Herrn Nauck in einer weiteren Analyse sicherlich beantworten wird. Zudem stellt sich dem Leser die Frage, ob mit den bestehenden Verträgen die geforderte 24-stündige aufsuchende ärztlich-pflegerische Rufbereitschaft überhaupt ausreichend finanziert werden kann.

Weitere wichtige Fragen wirft der Artikel auf. Wie gehen wir mit Patienten um, die noch keinen oder wiederholt keinen Anspruch auf SAPV haben, dem Palliative Care Team (PCT) aber bekannt sind oder bereits versorgt wurden und ihrerseits dem PCT vertrauen? Wie beraten wir Patienten, denen vom MDK ein Nicht-Anspruch bescheinigt wurde? Wie können wir erreichen, dass im Formblatt 63 der SAPV-Verordnung die Charakteristika von Patienten mit nicht-onkologischen lebenslimitierenden Erkrankungen besser berücksichtigt werden? Wie nähern wir uns dem Ziel, dass spezialisierte psychosoziale Leistungen finanziert werden?

Und es stellt sich mir erneut die Frage, wie schaffen wir es, dass die lebenslimitierend erkrankten Kinder und Jugendlichen nicht immer wieder vergessen werden?

Die Anbieter der spezialisierten ambulanten pädiatrischen Palliativversorgung (SAPPV) befinden sich in einer schwierigen Lage. Zunächst wurden sie vertröstet, weil die Krankenkassen zuerst "SAPV Verträge für erwachsene Patienten" abschließen wollten. Dann wurden sie gedrängt, die Strukturen dieser Verträge zu übernehmen, obwohl die Besonderheiten von Kindern und Jugendlichen in diesen Verträgen nicht berücksichtigt sind. Und aktuell wird selbst in ihrer eigenen Zeitschrift in einer Übersichtsarbeit zu bestehenden SAPV-Verträgen vergessen, dass es mühsam erstrittene und immer noch extrem unterfinanzierte spezielle SAPPV-Verträge gibt. Zeit, erneut auf die Besonderheiten von Kindern und Jugendlichen in Palliativsituationen sowie auf die aktuellen Entwicklungen hinzuweisen und die SAPPV in Bezug zu setzen zu den Schwierigkeiten der SAPV.

SAPPV betrifft überwiegend nicht-onkologische Patienten, die häufig die in Formblatt 63 geforderten Voraussetzungen für SAPV nach Meinung des MDK nicht erfüllen – hier ähnelt die Situation der von nicht-onkologischen erwachsenen Palliativpatienten. Die SAPPV-Teams müssen an pädiatrischen Fachzentren angesiedelt sein, weil anders die neuropädiatrische, pädiatrisch onkologische oder neonatologische Expertise nicht umfänglich zur Verfügung steht. Eine sektorenübergreifende Versorgung kann viel besser aus der Kinderklinik heraus in den ambulanten Bereich erbracht werden als umgekehrt – aus rechtlichen, organisatorischen aber auch fachlichen Gründen. Die Vergütung nach Einzelleistung ist für die SAPPV wegen kleiner und rasch schwankender Fallzahlen, langen Anfahrtswegen und sehr variablem Versorgungsbedarf des einzelnen Kindes nicht kalkulierbar. Bundesländerspezifische Verträge behindern die SAPPV, da die SAPPV-Teams oft über Länder- und Kassenbezirksgrenzen hinaus tätig sein müssen. Die jetzt tätigen SAPPV-Teams machen zur Zeit jährlich hunderttausende Euro Verlust und sind in ihrer Existenz bedroht.

Während einer Anhörung im Deutschen Bundestag wurde diese Situation offen gelegt und die Initiative für einen bundeseinheitlichen SAPPV-Vertrag erneut gestartet. Von der DGP in enger Abstimmung mit dem Deutschen Kinderhospizverein, dem DHPV sowie dem Bundesverband Kinderhospiz ist ein Konzeptentwurf für die SAPPV erarbeitet worden. Dieser sieht unter anderem ein verlässliches Jahresbudget zur Aufrechterhaltung des SAPPV-Versorgungsauftrages, Leistungen der SAPPV über bestehende Ländergrenzen hinaus, sowie eine Vergütung bis zur Zustimmung oder Ablehnung der SAPPV durch die Krankenkassen vor. Ferner soll es eine bundeseinheitliche Dokumentation und Qualitätssicherung geben.

Aufgegeben haben wir noch nicht in unserem Ringen um eine gute ambulante Palliativversorgung für Kinder und Jugendliche.

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Professor Boris Zernikow

Boris Zernikow, Chefarzt
Vodafone Stiftungslehrstuhl für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin