Ultraschall Med 2011; 32(04): 335-337
DOI: 10.1055/s-0031-1291918
Title Page
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gähnen beim Feten

Fetal Yawning
Further Information

Publication History

Publication Date:
28 September 2011 (online)

Gähnen beim Feten

Gähnen ist ein Reflex, bei dem Mund und Kiefer unwillkürlich weit geöffnet werden. Hinzu kommen eine lange und tiefe Luftinhalation durch Mund und Nase und eine langsame Expiration [1]. Dieser Reflex kann beim Menschen und bei vielen Wirbeltieren beobachtet werden, bereits intrauterin bis hin zum Erwachsenenalter. Man findet ihn auch in Verbindung mit anderen motorischen Aktivitäten, wie z.B. bei Streckbewegungen [2]. Beim Menschen dauert der Gähnvorgang etwas 6s, wobei sich die individuelle Gähndauer und -häufigkeit erstaunlich stabil verhalten [3].

Gähnen ist phylogenetisch gesehen ein altes und häufiges Phänomen, das im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Hypothesen über dessen Bedeutung entstehen ließ. In den beiden Haupttheorien zum Gähnen werden entweder die physiologische oder die soziale Bedeutung hervorgehoben.

Innerhalb der physiologischen Theorie wurden mehrere weitere Hypothesen entwickelt (Review siehe [4]). Unter diesen war die Respirations- und Kreislauftheorie die erste, die in der Literatur erwähnt wurde. Seit Hippokrates im 4. Jahrhundert vor Christi haben seine Schüler die Ansicht vertreten, dass Gähnen "schlechte Luft" aus der Lunge entfernen und den Sauerstofftransport zum Gehirn fördern könnte [5]. Nach dieser Hypothese wird Gähnen dann ausgelöst, wenn eine ungenügende Blut- oder Gehirnoxygenierung besteht oder wenn der Sauerstoffgehalt sinkt und die CO2-Konzentration steigt. Im Gegensatz dazu wird bei Patienten mit Herz- oder Lungenerkrankungen, bei denen häufig eine Hypoxie vorkommt, keine gesteigerte Gähntätigkeit gefunden. Ein gutes Beispiel gegen die respiratorische Theorie ist auch, dass anhaltende psychogenbedingte Hyperventilation mit nachfolgender Hypokapnie bei einigen Patienten mit automatischen Bewegungen inkl. Gähnen vergesellschaftet ist [6].

Die fehlende Bestätigung der respiratorischen Hypothese brachte sodann die sog. "Arousal"-Hypothese hervor. "Arousals" sind definiert als eine generelle Aktivierung der Gehirntätigkeit, die vom Hirnstamm ausgeht und zu Zentren des autonomen Nervensystems führt, um von dort aus dann in die kortikalen Bereiche zu gelangen. Viele Forscher [7–11] propagierten, dass Gähnen für die homöostatische Regulation der Vigilanz und den Erregungszustand des Gehirns verantwortlich ist. Sie berichteten, dass Gähnen während zunehmender Schläfrigkeit auftritt, entsprechend einem Zustand mit niedriger Vigilanz. Jedoch konnte kein gähn-spezifischer Erregungseffekt auf das Gehirn oder das autonome Nervensystem beobachtet werden. Verhaltensstudien zeigten, dass Gähnen am häufigsten vor oder nach dem Schlaf auftritt [12]. Das zirkadiane Auftreten des Gähnens folgt dem individuellen Schlaf-Wach-Rhythmus, und das individuelle subjektive Gefühl der Schläfrigkeit korreliert mit erhöhten Gähnraten [13].

Kürzlich wurde eine andere physiologische Hypothese für das Gähnen aufgestellt. Die sogenannte Thermoregulationshypothese nimmt an, dass Gähnen die Gehirntemperatur reduziert, wenn diese erhöht ist. So wird angenommen, dass der Einstrom von kühler Luft während des Gähnvorgangs zu einem Abtransport der erhöhten Gehirntemperatur führt [14].

Auch wurden mehrere andere physiologische Regulationsfunktionen für das Gähnen propagiert.

Gähnen wird in vielen Kulturen als Zeichen von Langeweile und Schläfrigkeit interpretiert. Es handelt sich um ein Zeichen, das nahezu überall verstanden wird. Die Sozial- und Kommunikationshypothese postuliert, dass es sich beim Gähnen um eine nicht verbale Kommunikationsform handelt, die das Gruppenverhalten synchronisiert [15]. Nach den experimentellen Daten ist dies das einzige Modell, das soziale Aspekte wie Schläfrigkeit, verschiedene physiologische Zustandsformen und Sozialverhalten berücksichtigt, die durch Gähnen getriggert werden. Wie bereits zuvor erwähnt, können verschiedene physiologische Stadien, wie Schläfrigkeit und Langeweile, Gähnen hervorrufen [3]. Das ansteckende Gähnen stellt einen wohlbekannten Effekt beim Menschen dar [2, 16]. Bei Kindern kann diese Form des ansteckenden Gähnens nicht vor einem Alter von 5 Jahren ausgelöst werden. Dies bedeutet, dass es sich um einen Mechanismus handelt, der sich während der Kindheit entwickelt [17]. Im Tierreich kann dies in ähnlicher Weise bei den Schimpansen, aber nicht bei den Löwen gefunden werden [16]. Es scheint, dass es bei Tieren gefunden wird, die eine enge soziale und emotionelle Bindung haben. Soziale Verhaltensmuster haben einen wichtigen Einfluss auf die Häufigkeit des Gähnens. Im Tierreich beinflusst die hierarchische Position innerhalb der Gruppe die Gähnfrequenz: der Anführer der Gruppe zeigt häufigeres Gähnen als die Nachgeordneten [18]. Beim Menschen hingegen hat die Anwesenheit von anderen Personen eher einen unterdrückenden Effekt, was die Gähnhäufigkeit angeht.

Gähnbewegungen können auch bei menschlichen Feten beobachtet werden (Abb. [ 1 ]). Nach De Vries und Mitarbeitern [19, 20] handelt es sich hierbei um nicht repetitive Bewegungen, ähnlich dem Gähnen nach der Geburt. Es umfasst ein weites Öffnen des Kiefers, gefolgt von einem schnellen Schließen. Zusätzlich zu diesem Verhaltensmuster konnten Van Woerden und Mitarbeiter [21] Grimassen und Zungenbewegungen beobachten. Die Mehrzahl dieser Bewegungen sind in den Verhaltensstadien 1F (ruhiger Schlaf) und 2F (aktiver Schlaf) zu sehen, wobei die fetalen Bewegungen denen bei Neugeborenen gleichen. Fetales Gähnen kann ab 11 Schwangerschaftswochen beobachtet werden, wobei kein gestationsabhängiges Muster nachzuweisen ist. Die meisten Bewegungen treten in der Schlafphase auf [22].

1995 berichteten Sepulveda und Mangiamerchi [22] über einen Fall mit repetitivem Gähnen bei einem 27 Wochen alten Fetus über einen Zeitraum von 7min. Sie beobachteten mehrere Gähnbewegungen und fanden heraus, dass die Gähndauer zwischen 4 und 6s betrug. In einem weiteren Fallbericht ein Jahr später konnten Masuzaki [23] die Dauer des Gähnvorganges bestätigen, aber nicht die Frequenz des Reflexes. Sie konnten lediglich eine nicht repetitive Bewegung bei der Farbdoppleruntersuchung beobachten.

In einer weiteren Studie von Petrikovsky und Mitarbeitern [24] konnte die Gähnaktivität bei 38 normalen und High-Risk-Feten zwischen 36 und 40 Schwangerschaftswochen während der Ultraschalluntersuchung beobachtet werden. Sie berichteten, dass der Gähnvorgang eine isolierte Mundbewegung darstellt, die mit einem langsamen Öffnen des Mundes und einer gleichzeitig nach unten gerichteten Zungenbewegung einhergeht. Diese Phase beanspruchte 50–75% des Gähnzyklus. Nach Erreichen des Öffnungsmaximums bleib der Mund für 2–8s geöffnet. Wachstumsretardierte Feten zeigten Gähnmuster mit isolierten Gähnbewegungen ähnlich denjenigen bei gesunden Feten. Ungewöhnliche Gähnsalven wurden bei anämischen Feten beobachtet. Hierbei könnte es sich um einen kompensatorischen Prozess handeln, um den venösen Rückfluss zum Herzen zu erhöhen.

Mit der raschen Entwicklung des 4-D-Ultraschalls [25–27] konnten neue Möglichkeiten geschaffen werden, das fetale Bewegungsverhalten zu kontrollieren. Gesichtsausdruck und -bewegungen im Oberflächenmodus können nun herangezogen werden, funktionelle neurologische Auffälligkeiten zu beurteilen. Ein neurologischer Entwicklungs-Score für das fetale Bewegungsverhalten unter 4-D-Ultraschallsicht wurde von Kurjak et al. publiziert [27]. Dabei stellt der Gähnreflex ein Bestandteil des Score-Tests dar.

Contact author for the list of references