Diabetes aktuell 2011; 9(06): 281
DOI: 10.1055/s-0031-1295319
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Typ-2-Diabetes – Wie bewähren sich GLP-1-Analoga in der ärztlichen Praxis?

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Publication Date:
31 October 2011 (online)

Schon seit etwa 4 Jahren hat Dr. Jörg Lüdemann, Falkensee, Therapieerfahrungen mit dem humanen-GLP-1-Analogon Liraglutid gesammelt – er war bereits an der LEAD-6-Studie, dem direkten Vergleich von Liraglutid und Exenatid, beteiligt. Seit der Zulassung des Wirkstoffs im Sommer 2009 steht das Präparat in Kombination mit Metformin und/oder Sulfonylharnstoff für alle Patienten mit Typ-2-Diabetes zur Verfügung. Im Interview in "Diabetes aktuell" äußerte sich Dr. Jörg Lüdemann zu den Vorteilen bzw. eventuellen Problemen bei der Therapie mit Liraglutid.

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? Wie kommen die Patienten mit der Anwendung des GLP-1-Analogons im Alltag zurecht?

Lüdemann: Die Anwendung von Liraglutid im täglichen Leben ist denkbar einfach – es wird einmal pro Tag mahlzeitenunabhängig verabreicht und verursacht keine relevanten Hypoglykämien. Auch die Tatsache, dass Liraglutid injiziert werden muss, stellt keine Hürde für die Patienten dar. So überwiegen für viele Patienten die Vorteile einer sicheren Blutzuckersenkung und Gewichtsreduktion den Aspekt der Spritze deutlich. Allein die Aussicht, mit einem GLP-1-Analogon aus dem Teufelskreis von Gewichtszunahme oder sich weiter verschlechternden Blutzuckerwerten ausbrechen zu können, überzeugt die meisten Patienten. Wir sahen daher in der Vergleichsstudie mit dem anderen Inkretinprinzip, den oralen DPP-4-Inhibitoren, unter Liraglutid eine höhere Patientenzufriedenheit [ 1 ]. Die Übelkeit als wesentliche Nebenwirkung findet sich nur in geringem Maß und ist schnell rückläufig. In der Vergleichsstudie war nach einigen Wochen kein Unterschied in der Verträglichkeit mehr zu beobachten.

? Welche Rolle spielen Hypoglykämien bei der Anwendung von Liraglutid?

Lüdemann: Als Begründung für Patienten, die sich trotz schlechter Blutzuckerwerte und Diabetesfolge-Komplikationen einer Insulintherapie verweigern, wird oft die Spritzenangst herangezogen. Es ist aber eher Angst vor Gewichtszunahme, Hypoglykämien und eingeschränkter Selbständigkeit, die viele Patienten durch die notwendige Insulindosisanpassung und Blutzuckerselbstkontrolle empfinden. Diese Probleme entfallen bei einem GLP-1-Analogon im Wesentlichen.

? Schlägt sich die einfache Anwendung von Liraglutid auch in einer verbesserten Therapietreue der Patienten nieder?

Lüdemann: Die einfache Anwendung, die gute Verträglichkeit sowie die Aussicht, neben einer sicheren Blutzuckersenkung auch das Übergewicht reduzieren zu können, sind starke Motivatoren für diese Therapieform. Anhand der Verschreibungen können wir die hohe Compliance der Patienten im Praxisalltag leicht überprüfen. Dabei zeigt sich, dass Patienten mit Liraglutid die treuesten und zuverlässigsten Anwender sind, die ein großes Interesse daran haben, diese Diabetestherapie so lange wie möglich nutzen zu können.

? Wie relevant ist Ihrer Meinung nach das Thema Gewicht bei der Therapieauswahl und in den Gesprächen mit den Patienten?

Lüdemann: Gerade bei Patienten mit Adipositas ist das Thema Gewicht wichtiger als die reine Blutzuckereinstellung. Viele Patienten haben seit Jahren frustrierende Erfahrungen mit fehlgeschlagenen Diäten und Jo-Jo-Effekten hinter sich. Adipositas ist zudem ein wesentlicher Faktor für Komorbiditäten, wie z. B. Hypertonus, Herz-, Gelenkerkrankungen, Demenz und Krebs. Allerdings empfinden sich dicke Menschen häufig als stigmatisiert und abgewertet. Nun gibt es mit den GLP-1-Analoga für viele eine echte Chance, gute Blutzuckerwerte und eine Gewichtsreduktion zu erreichen. Mit den Anfangserfolgen erwachen bei vielen Patienten Selbstwertgefühl und Motivation neu, durch Veränderung von Ernährung und Bewegung nicht nur weiter das Gewicht zu reduzieren, sondern sich auch fitter zu fühlen. So sehen wir z. B. auch in den Klonoff-Daten bei einer Therapie mit Exenatid über 3 Jahre einen progredienten Gewichtsverlust bei stabiler Blutzuckereinstellung [ 2 ].

? Patienten mit Typ-2-Diabetes weisen häufig gleichzeitig kardiovaskuläre Komorbiditäten und/oder eine Hypertonie auf. In welchem Umfang beeinflusst dies Ihre Therapieentscheidung?

Lüdemann: Nach den Ergebnissen von ACCORD, ADVANCE und VADT und weiteren Studien, wie einer Registerarbeit an britischen Hausarztpraxen, kristallisiert sich heraus, dass Hypoglykämien und Gewichtszunahme die kardiovaskuläre Mortalität verschlechtern [ 3 ]. So werden inzwischen abgestufte Zielwerte der Diabeteseinstellung diskutiert. Während bei einem neudiagnostizierten Patienten mit Typ-2-Diabetes ohne koronare Herzerkrankung der HbA1c weiter unter 6,5 % eingestellt werden sollte, ist man bei Älteren und Patienten mit makrovasku-lären Folgeerkrankungen bezüglich der Zielwerte deutlich vorsichtiger.
Allerdings gibt es z. B. aus der ACCORD-Studie Hinweise, dass auch ältere Patienten mit Typ-2-Diabetes, die mit einem Inkretin-Therapeutikum behandelt wurden, eine deutliche Reduktion der kardiovaskulären Mortalität zeigten. Zudem senken GLP-1-Analoga gewichtsunabhängig den Blutdruck und verbessern die Blutfette. So scheinen gerade bei Patienten mit Komorbiditäten oder im Alter die sicheren Inkretin-Therapeutika ohne Hypoglykämien von besonderem Nutzen zu sein.

? Was erwarten Sie für die Zukunft der Inkretin-Therapeutika?

Lüdemann: Ob GLP-1-Analoga und DPP-4-Inhibitoren die Anzahl kardiovaskulärer Ereignisse senken, wird derzeit in mehreren Endpunktstudien untersucht. Für Liraglutid wurde mit der LEADER™-Studie 2010 ein entsprechendes Programm mit über 9 000 Patienten über 5 Jahre gestartet. Ich bin überzeugt, dass diese Studien den Beweis einer Senkung kardiovaskulärer Ereignisse durch GLP-1-Analoga erbringen und die Behandlungsparadigmen verändern werden. Zukünftig werden Inkretine ein wesentlicher Bestandteil der Therapie des Typ-2-Diabetes sein.

 
  • Literatur

  • 1 Pratley RE et al. Lancet 2010; 375: 1447-1456
  • 2 Klohoff DG et al. Curr Med Res Opin 2008; 24: 275-286
  • 3 Currie CJ et al. Lancet 2010; 375: 481-489