ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2012; 121(01/02): 50-51
DOI: 10.1055/s-0032-1304690
Colloquium
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nachlese zum Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Implantologie – 95 % Erfolg und dennoch jede Menge Probleme – mit Verbesserungsmöglichkeiten

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Publication Date:
16 February 2012 (online)

Der 41. Internationale Jahreskongress der DGZI (Deutsche Gesellschaft für Zahnärztliche Implantologie) am 30.9./1.10.2011 bot viele Highlights – eines davon war die Podiumsdiskussion zum Thema "Digitale Implantologie – was soll, was muss?" Prof. Peter Rammelsberg lieferte dabei eine Reihe anregender Beiträge, die er im Folgenden genauer erläutert.

? Herr Prof. Rammelsberg, Sie leiteten Ihren Kurzvortrag mit der provokanten Bemerkung ein, bei 95 % Erfolgsquote dürfe es in der Implantologie doch eigentlich kaum Probleme geben. Warum stimmt das so nicht?

Prof. Rammelsberg: Das liegt daran, dass der Fokus der klinischen Studien bisher überwiegend auf dem kurzfristigen bis mittelfristigen Erfolg des Implantats lag. Probleme mit der implantatgestützten Suprastruktur wurden häufig nicht erfasst oder als "leicht" korrigierbare Komplikation unterbewertet.

? Müsste man nicht eigentlich den Begriff Erfolgsquote, wie er üblicherweise verwendet wird, anders definieren?

Prof. Rammelsberg: Nein, dies ist nicht nötig. Es reicht aus, alle Komplikationen am Implantat und der Suprastruktur konsequent zu dokumentieren und auch den Nachsorgeaufwand in die Bewertung einzubeziehen.

? Für eine hohe Erfolgsquote gaben Sie den Tipp, bevorzugt Frauen zu behandeln. Das hört sich im ersten Moment scherzhaft an, doch welchen ernsten Hintergrund hat es?

Prof. Rammelsberg: Dieser Hinweis bezieht sich ausschließlich auf die Komplikation "Abplatzung von Keramikverblendungen" (Chipping). Chipping trat in unserer klinischen Studie zu implantatgestützten Brücken bei Männern doppelt so häufig auf wie bei Frauen.

? Als Anti-Chipping-Strategie empfahlen Sie: Langzeitabkühl-Verfahren im Labor, Pressen statt Schichten, monolithische Zirkonoxidkeramik (ganz ohne Verblendung), Verblendkeramik mit höherer Festigkeit verwenden, sogenannte CAD-on-Kronen. Was davon ist nach Ihrer Erfahrung für die implantologische Praxis am relevantesten, und wie genau funktioniert es?

Prof. Rammelsberg: Die Punkte "aufgepresste Verblendungen" und "Langzeitabkühlung" zielen darauf ab, die Verblendungen von Zirkonoxidgerüsten besser zu standardisieren bzw. die schlechtere Wärmeleitfähigkeit der Keramikgerüste im Vergleich zu Metallgerüsten zu berücksichtigen. Bei der CAD-on-Technik wird die Verblendung im CAD/CAM-Verfahren aus einer hochfesten und transparenteren Keramik (meist Lithiumdisilikatkeramik) gefräst und mit Glaslot auf das Zirkonoxidgerüst gesintert. Monolithische Vollzirkonoxidbrücken werden als Ganzes eingefärbt und können nach dem Sintern zusätzlich bemalt werden. Aufgrund der geringeren Transparenz sind dabei jedoch ästhetische Kompromisse unvermeidlich.
Für die CAD-on-Technik mit Lithiumdisilikatverblendungen haben wir im Laborversuch eine wesentlich niedrigere Chipping-Rate und eine höhere Belastbarkeit bei ungünstigen Scherkräften ermittelt. Klinische Daten dazu fehlen jedoch noch. Deshalb müssen wir mit generellen Empfehlungen für die implantologische Praxis vorsichtig sein.
Da Chipping auch bei Metallkeramikrestaurationen die schwerwiegendste Komplikation war, raten wir zunächst einmal dazu, Keramikverblendungen dort ganz zu vermeiden, wo sie ästhetisch nicht nötig sind. Die sicherste Chipping-Prophylaxe ist unseres Erachtens, Kronen auf den Molaren nicht oder nur vestibulär zu verblenden. Monolithische Zirkon-oxidkonstruktionen könnten sich hier zu einem guten Kompromiss zwischen "zahnfarben mit ästhetischen Abstrichen" und "hoher Belastbarkeit" entwickeln.

? Sie sagten auch: "Was wir digital fertigen, ist super, die Schwachstelle ist die zahntechnische Verblendung. Inwieweit gilt das für die Implantologie verschärft – und ist eigentlich der Zahntechniker das Problem?

Prof. Rammelsberg: Auffällig in unseren klinischen Studien war, dass keine einzige Fraktur eines Zirkonoxidgerüsts auftrat. Die obligate CAD/CAM-Fertigung von Zirkonoxidgerüsten reduziert Schwankungen der Materialeigenschaften, die sonst durch individuelle Vorlieben des einzelnen Technikers das Endprodukt negativ beeinflussen können. Das Problem ist jedoch nicht der Zahntechniker. Vielmehr wurde in der Vergangenheit nur die hohe Frakturfestigkeit der Gerüste in unzähligen Laboruntersuchungen überprüft und daraus voreilig eine hohe Belastbarkeit der Gesamtkonstruktion abgeleitet. Außerdem war eine gute Unterstützung der Keramikverblendungen durch die Gerüste, die heute überall gefordert wird, mit älteren Verfahren aufgrund von Einschränkungen bei der Software nicht möglich. Bei manchen Herstellern waren die Keramikrohlinge nicht dick genug, um lange klinische Kronen zu fertigen.
Derzeit sehe ich das Hauptproblem in der kritiklosen Indikationsausweitung von Keramikverblendungen bis zu okklusalen Verblendungen im Molarenbereich. Da aktuelle klinische Studien auch bei natürlichen Pfeilern hohe Chipping-Raten zeigen, scheint dies kein spezifisches Problem der Implantatprothetik zu sein. Viel gravierender könnte jedoch werden, dass es gar keine klinischen Studien zum Einsatz von okklusalen Keramikverblendungen bei Patienten mit Bruxismus gibt. In der Praxis (auch in unserer Abteilung) erhielten bisher auch Patienten mit mehr oder weniger ausgeprägten Zeichen von Verschleiß der Zahnhartsubstanz auf Wunsch okklusale Keramikverblendungen, obwohl diese Patienten in klinischen Studien bisher systematisch ausgeschlossen wurden. Außerdem ist unklar, wie sicher Bruxismus diagnostiziert werden kann bzw. ob hohe Belastungen durch Pressen und Knirschen auch in der Zukunft (nach der prothetischen Versorgung) ausgeschlossen werden können.

? Eine weitere wesentliche Komplikation stellt die Notwendigkeit zu Rezementierungen dar. Welche Rolle spielt die Befestigung? Zementieren oder verschrauben Sie? Warum? Und warum verwenden Sie eigentlich überhaupt keine Zinkphosphatzemente?

Prof. Rammelsberg: Zur Eignung von Verschraubungen können wir die Daten unserer klinischen Studien nicht heranziehen, da wir Kronen und Brücken nicht verschrauben. An der okklusalen Verschraubung stören mich vor allem die Geruchsbelästigung durch die Keimbesiedlung im Schraubenkanal und die Unterbrechung der Okklusalfläche, was zur Sollbruchstelle für die Verblendung werden kann. Die Lockerung war bei Kronen und Brücken noch vor dem Chipping die häufigste Komplikation. Sie lässt sich meist einfach durch Rezementierung beheben. Problematisch wird es jedoch, wenn eine Krone verschluckt wird oder wenn sich eine Brücke nur an einem Pfeiler lösen lässt. Deshalb empfehlen wir die definitive Zementierung. Bei Brücken lassen sich dadurch die Retentionsverluste deutlich reduzieren. Dies gilt jedoch leider nicht für Einzelkronen. Hier war die Rate mit über 20 % Retentionsverlusten nach 3 Jahren, gleichermaßen für provisorischen und definitiven Zement, unbefriedigend hoch. Verbesserungsmöglichkeiten loten wir derzeit in verschiedenen Versuchsanordnungen im Labor aus.
In unserer Abteilung verwenden wir Glasionomerzement zur definitiven Befestigung, weil er im Kapselsystem mit einer vorhersehbaren Abbindezeit anzumischen ist. Zinkoxidphosphatzement ist ebenso zur Befestigung von implantatgestützten Kronen und Brücken geeignet, durch die individuellen Anmischtechniken ist mir die Abbindezeit jedoch zu variabel.

? Zur 3-D-Planung merkten Sie unter anderem an: "In der Praxis wird in weniger als 10 % aller Fälle nach dem DVT eine Bohrschablone angefertigt." Braucht man sie nicht, oder sind 90 % der Behandlungen suboptimal?

Prof. Rammelsberg: Diese Aussage ist leider missverständlich widergegeben. Vielmehr werden in unserer Abteilung derzeit weniger als 10 % der Implantationen mit einem DVT geplant. In 90 % der Fälle wird eine Messschablone nach exakter Modellanalyse und OPG zur Planung herangezogen. Die fehlenden 3-dimensionalen Informationen aus dem OPG werden immer durch Sägemodelle und gegebenenfalls Bonemapping ergänzt. Eine Bohrschablone kommt bei uns bei allen Implantationen zum Einsatz, entweder die umgearbeitete Messschablone auf der Basis des OPG oder eine 3-D-Schablone aufgrund der DVT-Daten.

? Sie persönlich finden Schablonen zum Teil hilfreich, setzen dabei aber auf Flexibilität. Inwiefern?

Prof. Rammelsberg: Ich halte gut geplante Bohrschablonen immer für hilfreich. Die Flexibilität bezieht sich nur auf die Gestaltung der Schablone. Wenn kein DVT mit hoher Auflösung vorliegt oder wenn ein reduziertes Knochenangebot vorliegt, kann eine geschlossene Bohrhülse Nachteile haben. In diesen Fällen bevorzuge ich eine vestibulär geöffnete Bohrung in der Schablone, um die Implantatrichtung bei Bedarf in transversaler Richtung etwas korrigieren zu können.

? Zum Thema "flapless surgery ohne Schablone" berichteten Sie: "An unserer Universität haben selbst blutige Anfänger unter Supervision unter Verwendung einer Parodontalsonde gute Resultate erzielt." Wie bewerten Sie dieses Erlebnis?

Prof. Rammelsberg: Diese positive Erfahrung war nur möglich, weil der Alveolarfortsatz in der fraglichen Implantatregion einem intensiven Bonemapping mit einer spitzen Sonde unterzogen wurde, um sicherzugehen, dass das Knochenvolumen in allen Dimensionen ausreichte. Zusätzlich wurden auch Schablonen verwendet, die auf der Basis von Modellanalysen und OPGs erstellt waren.
In Fällen, wo das Knochenangebot nicht im Überschuss vorliegt und ein erfahrener Operateur die Verantwortung übernimmt, kann man flapless surgery, insbesondere Anfängern, jedoch nicht empfehlen.

Das Interview führte
Dr. Christian Ehrensberger, Frankfurt/Main.

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Komplikation: Vollkeramikbrücke mit typischen Keramikabplatzungen nach einer Tragedauervon 4 Monaten. (Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Peter Rammelsberg)