Psychiatr Prax 2012; 39(02): 100-101
DOI: 10.1055/s-0032-1305974
Mitteilungen der BDK
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Klinikpartnerschaften Polen-Deutschland

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Publication Date:
09 March 2012 (online)

 

Verantwortlich für diese Rubrik: Manfred Wolfersdorf, Bayreuth; Iris Hauth, Berlin

Die Beziehung zwischen Polen und Deutschland war über die letzen Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg wechselhaft und nicht selten spannungsgeladen. Im Bereich der Psychiatrie gibt es tiefe gemeinsame Wurzeln und Traditionen, die in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts jedoch kaum noch wahrnehmbar waren. Nach der Aufhebung des "Eisernen Vorhangs" Anfang der 90er-Jahre wurden neben vielen anderen Kontakten zwischen Bewohnern der beiden Staaten auch die Verbindungen innerhalb der Psychiatrie wieder verstärkt wahrgenommen.

Bereits am 26. Oktober 1990 fand in Münster das 1. Deutsch-Polnische Psychiatrie-Symposium statt, in dessen Rahmen die Deutsch-Polnische Gesellschaft für seelische Gesundheit (DPGSG) mit Sitz in Münster und Kraków gegründet wurde. Seitdem veranstaltet die Gesellschaft in jedem Jahr eine große Tagung, alternierend in Polen und in Deutschland, die vielfältige Beachtung findet und regelmäßig in Tagungsbänden in beiden Sprachen dokumentiert wird. Auf den dortigen Symposien entstanden zahlreiche Projekte zum Ausbau der psychiatrischen Versorgung in Polen und Deutschland. Seit 1993 informiert die jährlich herausgegebene Zeitschrift "DIALOG" über die Aktivitäten der Gesellschaft.

Die erste deutsch-polnische Klinikpartnerschaft wurde schon vor Gründung der Gesellschaft, am 7. Dezember 1989 zwischen der Westfälischen Klinik Gütersloh und dem Wojewodschaftskrankenhaus Gniezno unterzeichnet. Eine Reihe weiterer Klinikpartnerschaften folgten.

Im Folgenden soll am Beispiel der Region Südwürttemberg über den Versuch berichtet werden, über Klinikpartnerschaften hinaus regionale oder landesweite Partnerschaften zwischen den beiden Ländern zu entwickeln.

Der erste Kontakt der damaligen "Zentren für Psychiatrie" in Südwürttemberg, des ZfP Zwiefalten, ZfP Bad Schussenried und ZfP Ravensburg-Weissenau, die mittlerweile zum "Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg" fusioniert sind, mit der Wojewodschaft (Provinz) Malopolska in Polen erfolgte über die DPGSG. An deren 13. Jahrestagung im November 2002 nahmen der bis 2011 tätige Geschäftsführer des ZfP Südwürttemberg, Wolfgang Rieger und der damalige Leiter derWerkstätten, Stephan Oberle teil.

Sie nutzten die Kontakte zum Vorstand der DPGSG, um das Anliegen der 9 badenwürttembergischen Zentren für Psychiatrie, regionale Partnerschaften zwischen den 3 Geschäftsführerbereichen und 3 Wojewodschaften eingehen zu wollen, vorzutragen.

Regionale Partnerschaften stellten ein Novum für die Partnerschaftsvermittlung der DPGSG dar. Das Vorhaben wurde jedoch einstimmig begrüßt und Andrzej Cechnicki (Vorstandsvorsitzender der DPGSG) organisierte eine Reise in dieWojewodschaften Niederschlesien, Kleinpolen und Masuren im März 2003. Für die Region Südwürttemberg war die Region Kleinpolen, im Süden des Landes, als Partnerregion vorgesehen.

Auf dieser Reise wurden erste politische Kontakte gepflegt, eine Besichtigung eines psychiatrischen Krankenhauses in Wroclaw(Breslau), in Krosnice und im Babinski Krankenhaus in Krakau (840 Betten) standen auf dem Programm. In Sulkowice, einer Kleinstadt nahe Kraków, wurden einige gemeindepsychiatrische Einrichtungen besucht. Auch in Krakow selbst wurde schon damals ein sehr interessantes Projekt aufgebaut: ein Hotel im Herzen der Stadt, das von psychisch behinderten Menschen als Integrationsfirma geführt wird (aus Sicht der Referenten auch heute noch ein Geheimtipp zur Übernachtung bei einer Reise nach Krakau).

Insgesamt war in der Region Kleinpolen schon im Vorfeld die Idee der Dezentralisierung psychiatrischer Versorgung entstanden und das Modell der Satellitenbildung im ZfP Südwürttemberg wurde daher mit besonderem Interesse diskutiert.

Weiterer Programmpunkt war ein Treffen in der Hauptstadt Warschau mit dem Gesundheitsminister (einem parteilosen Psychiater) sowie eine Besichtigung des ehemaligen Konzentrationslagers in Auschwitz.

Ausgehend von dieser Reise und den dabei geknüpften Verbindungen waren die darauffolgenden Jahre durch den Versuch geprägt, regionale Partnerschaften unter Einbindung auch der politischen Ebene zu entwickeln. Eine Reihe von Besuchen unter Beteiligung hochrangiger Beamter der Wojwodschaft (Regionalregierung) und des Baden-Württembergischen Sozialministeriums wurden organisiert. Dadurch entwickelte sich in den Landesund Regionalverwaltungen ein neues Verständnis der jeweils anderen Seite. Dennoch konnte darüber hinaus keine strukturelle Partnerschaft entwickelt werden. Die Gestaltung der Versorgungslandschaft und der zugrunde liegenden politischen Verantwortlichkeiten ist letztlich doch zu wenig vergleichbar, die aktuelle Problemlage zu unterschiedlich.

So konzentrierten sich die partnerschaftlichen Bemühungen bald im Wesentlichen wieder auf die Klinikpartnerschaften, die sich seit 2003 gut etabliert haben. Aus den regelmäßigen Besuchen beispielsweise der Partnerkliniken in Zwiefalten und in Andrychow, die sowohl den psychiatrisch-fachlichen Austausch als auch einen detaillierten Vergleich der administrativen Abläufe zum Inhalt hatten, entstanden zum einen Freundschaften zwischen den Verantwortlichen und MitarbeiterInnen der beiden Kliniken. Zum anderen entwickelte sich eine ertragreiche Diskussion über die verschiedenen Behandlungsansätze, die auch eine kritische Reflexion des eigenen Vorgehens notwendig und möglich machte.

In den letzten Jahren haben beide Kliniken Behandlungs- und Strukturelemente der anderen Klinik aufgenommen. So führten wir in Zwiefalten die dezentrale Ergotherapie nach dem polnischen Modell ein, die polnischen Partner übernahmen z. B. mit großem Interesse das Konzept der Aromapflege aus Zwiefalten. Viele Diskussionen über das Menschen- und Krankheitsbild, Paternalismus und Partnerschaftlichkeit im Umgang mit Patienten und natürlich die jeweilige Geschichte der Psychiatrie in den vergangenen Jahrzehnten prägten die Besuche. Seit 2003 finden in jedem Jahr im Wechsel Reisen nach Deutschland und Polen statt, zunächst nur durch die leitenden MitarbeiterInnen, in den letzten Jahren vermehrt durch Mitarbeiter der Basis und hier in multiprofessioneller Zusammensetzung.

Dabei wird deutlich, dass bei unseren polnischen Freunden viele Entwicklungen durch die politische Großwetterlage bestimmt und leider vielfach behindert werden. Gute Konzepte können nicht einmal im Ansatz umgesetzt werden, weil jede Planungssicherheit fehlt. Das z. T. über Krankenversicherungen finanzierte Gesundheitswesen ist völlig unterfinanziert, Rechnungenwerden nicht bezahlt und die Politik interessiert sich nur am Rande für diese Problematik. Die Klinikleitungen sind damit beschäftigt jeweils das Allernötigste zu sichern und den Betreib aufrechtzuerhalten, für eine echte Weiterentwicklung fehlt dann oft nicht nur das Geld, sondern auch die Kraft.

Auch aus diesem Grunde sind den polnischen Kollegen die Kontakte nach Deutschland so wertvoll, um auf ein funktionierendes System hinweisen und für sich selbst eine Vision für die Zukunft aufrechterhalten zu können. Wir dagegen werden immer wieder etwas bescheidener in unseren Ansprüchen, können unsere eigene Versorgungssituation neu schätzen und können von den oft unkonventionellen und kreativen polnischen Lösungen lernen.

Auch die Partnerschaften anderer Kliniken des ZfP Südwürttemberg (Weissenau mit dem Babinski Krankenhaus in Krakau, Bad Schussenried / Ehingen mit Oswiecim) blieben in den letzten Jahren sehr lebendig und sind geprägt von gegenseitiger Freundschaft und großer Wertschätzung.

Im Jahr 2006 fand eines der großen Symposien der DPGSG in Ravensburg statt.

Inzwischen sind auch 2 leitende Mitarbeiter des ZfP (Dr. Rudi Metzger, ärztlicher Direktor in Bad Schussenried sowie Ralf Aßfalg, Pflegedirektor in Zwiefalten) als Vorstandsmitglieder in der Deutsch Polnischen Gesellschaft tätig.

Für das Jahr 2014 ist die Jahrestagung der DPGSG in Zwiefalten in Planung.

Insgesamt sind alle an diesen Partnerschaften beteiligten Kliniker der festen Überzeugung, dass die deutsch-polnischen Partnerschaften ein großer Gewinn für die Kliniken, die MitarbeiterInnen und die Region insgesamt sind. Wir können den Aufbau solcher Partnerschaften daher nur nahcdrücklich empfehlen.

Die DPGSG ist auch weiterhin gerne beim Aufbau entsprechender Kontakte hilfreich.

Prof. Dr. Gerhard Längle und Ralf Assfalg, ZfP Südwürttemberg; BDK; DPGSG