Aktuelle Dermatologie 2012; 38(05): 151
DOI: 10.1055/s-0032-1309776
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lebensqualität und Histamin

Quality of Life and Histamine
C. Bayerl
Further Information

Publication History

Publication Date:
02 May 2012 (online)

Ein guter Rohmilchkäse und ein Glas Wein? Ist das Histamin Schuld am Kopfschmerz, das Tannin oder war es doch mehr als ein Glas? Als Ursache von ungeklärten Empfindlichkeitsstörungen ist eine Unverträglichkeit gegenüber exogen zugeführtem Histamin aktuell „in“.

Zoom Image
Prof. Dr. Christiane Bayerl

Die Symptomatik einer Histaminunverträglichkeit [1] besteht in Flush-Symptomatik, Juckreiz, Erythemen, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe und abdominalen Schmerzen. Deutlich seltener aber möglich ist eine anaphylaktische Reaktion mit respiratorischen und kardiovaskulären Symptomen mit Blutdruckabfall, Schwindel und Tachykardie. Entsprechend sind als Differenzialdiagnose entzündliche Darmerkrankungen, Kohlenhydratverwertungsstörungen, Zöliakie oder „echte“ Nahrungsmittelallergien auszuschließen. Histaminkonzentrationen über 1000 mg können schwere Intoxikationen auslösen, z. B. nach Verzehr von verdorbenem Fisch (Scrombridae: Thunfisch, Makrele).

Als Pathomechanismus der Histaminintoleranz wird eine Abbaustörung durch die katabolisierenden Enzyme, vor allem der DAO (Diaminoxidase) [2], angenommen. Bewiesen ist dieser kausale Zusammenhang jedoch nicht. In der Diagnostik werden der Plasmahistaminspiegel, die Methylhistaminkonzentration im Urin und die DAO-Aktivität im Serum gemessen. Dabei ist zu beachten, dass Methylhistamin auch nach proteinreicher Nahrung ansteigt. In der neuen Leitlinie wird als Ursache eine Erniedrigung der HNMT (Histamin-N-Methyltransferase) in geschädigtem Kolongewebe diskutiert. Es existiert bisher kein objektiver Parameter für den Nachweis einer Unverträglichkeit gegenüber exogen zugeführtem Histamin. Eine versuchte Nachweismethode ist die orale Provokation, üblicherweise mit 0,75 mg/kgKG Histaminhydrochlorid – aber bei dieser Dosis hatten auch gesunde Probanden mitreagiert.

Die Leitlinie empfiehlt daher eine dreistufige Ernährungsumstellung:

  • I Karenz: histaminarme Kost

  • II Testphase: histaminreiche Nahrungsmittel nacheinander einführen und individuelle Verträglichkeit erarbeiten

  • III Dauerernährung: individuelle Ernährungsempfehlungen mit bedarfsdeckender Nährstoffzufuhr

Danach sollte eine Titration mit Histaminhydrochlorid in 2-h-Abständen mit steigenden Dosen des Histamins 0,5 mg/kgKG, 0,75 mg/kgKG und 1,00 mg/kgKG durchgeführt werden zur Festlegung der individuellen Schwelle. Dennoch schwankt die individuelle Empfindlichkeit stark, abhängig von Alkoholgenuss, Hormonstatus, entzündlichen Darmerkrankungen und der Einnahme von Medikamenten (ASS, NSAIDs).

Auch der Histamingehalt in Nahrungsmitteln schwankt stark [2]:

  • Emmentaler Käse 0,1 – 2000 mg/KG Histamin

  • Geräucherte Makrele 0,1 – 1788 mg/KG Histamin.

Histaminreiche Nahrungsmittel sind:

  • Fisch (Makrele, Hering, Sardine, Thunfisch)

  • Käse (Gouda, Camembert, Cheddar, Emmentaler, Schweizer, Parmesan)

  • Fleisch (geräucherte Würste, Salami, geräucherter Schinken)

  • Gemüse (Sauerkraut, Spinat, Tomatenketchup)

  • Rotweinessig.

Eine histaminarme Kost beinhaltet prinzipiell den Verzicht auf Alkoholika, alle geräucherten Fisch-, Fleisch oder Käseprodukte, Thunfisch, Makrelen und Rohmilchkäse. Champagner und im Fass gereifter Rotwein haben einen höheren Histamingehalt als Weißweine aus dem Stahltank. Zu den Alkoholika finden Sie im Artikel von Jarisch in diesem Heft der Aktuellen Dermatologie eine spannende Aufstellung zu Analysedaten im Detail [3] und weitere Empfehlungen des Autors.

Um eine Fehlernährung zu vermeiden, müssen die Differenzialdiagnosen ausgeschlossen werden. Es gibt keine objektiven Laborparameter für das Vorhandensein einer Unverträglichkeit. Die Bestimmung von Histamin, Methylhistamin und DAO kann nach Leitlinie unterbleiben. Eine Sicherung über die dreistufigen diagnostischen Schritte ist zu empfehlen. Ein Therapieversuch mit H1/H2-Blockern kann unternommen werden.

 
  • Literatur

  • 1 Reese I, Ballmer-Weber B, Beyer K et al. Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin. Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunoloige (DGAKI), der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA) und des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA). Allergo J 2012; 21: 22-28
  • 2 Maintz L, Novak N. Histamine and histamine intolerance. Am J Clin Nutr 2007; 85: 1185-1196
  • 3 Jarisch R. Histamin-Intoleranz. Akt Dermatol 2012; 38: 159-166