Fortschr Neurol Psychiatr 2012; 80(5): 249
DOI: 10.1055/s-0032-1312740
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Regenerative Psychiatrie: Weg von der Dementia praecox hin zur neuronalen Plastizität

Regenerative Psychiatry: From Dementia praecox to Neuronal Plasticity
P. Falkai
,
A. Schmitt
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Publication Date:
07 May 2012 (online)

Mehr als die Hälfte schizophrener Patienten hat eine ungünstige Langzeitprognose hinsichtlich psychosozialer Ziele wie Berufstätigkeit und Partnerschaft [1]. Ursache sind kognitive Störungen, besonders des Arbeits- und verbalen Gedächtnisses [2]. Die kognitiven Defizite entwickeln sich Jahre vor Erkrankungsausbruch, sind durch gängige pharma- und psychotherapeutische Methoden nur unzureichend behandelbar und tragen zu der stabilen Restsymptomatik bei. MRT-Studien der letzten Jahre bekräftigen, dass die Schizophrenie eine durch progressiven Abbau kortikaler Areale wie auch des Hippokampus gekennzeichnete Gehirnerkrankung ist [3] [4].

Klassisch degenerative Erkrankungen (Alzheimersche Erkrankung, Morbus Parkinson) charakterisieren Zellverluste und eine reaktive Gliose. Kontrollierte Post-mortem-Studien konnten aber in verschiedenen Gehirnregionen wie dem Kortex und dem Hippokampus keine signifikanten Neuronenverluste nachweisen [5]. Sie liefern auch keinen Hinweis auf die für degenerative Erkrankungen typische reaktive Astrogliose [5] [6]. Trotz Hinweisen auf einen Anstieg der Mikrogliazellen, welche als „zelluläre Polizei“ bei verschiedenen Ereignissen aktiviert werden, zeigen gut kontrollierte Studien, dass die Mikrogliaaktivierung keineswegs diagnosespezifisch ist, sondern mit Ereignissen wie Suizidalität verbunden sein kann [7]. Was bewirkt die subtilen, aber replizierten Volumenreduktionen von 4 – 6 % z. B. im Hippokampus? Neuere Arbeiten sehen einen signifikanten Einfluss von Neuroleptika [8] und diskutieren andere ursächliche Faktoren wie Ernährung und Lebensstil. Hierbei wird jedoch oft vernachlässigt, dass Post-mortem-Untersuchungen an Patienten vor Einführung der Neuroleptika ein vergleichbares Atrophiemuster zeigen [9] wie Patienten, die langfristig klassische Neuroleptika vor ihrem Tod erhielten [10]. Also müssen neben den Neuroleptika auch krankheitsspezifische Faktoren die Ausbildung dieser Veränderungen beeinflussen.

Mangels Verlust zellulärer Elemente muss es sich um eine Reduktion nicht neuronaler Elemente, des sogenannten Neuropils, handeln, u. a. Synapsen, Dendriten und Axone. Zu Synapsen existieren schlüssige Studien zu einer Reduktion der Spines bzw. einer reduzierten Expression synaptischer Proteine [11], Teil des sogenannten SNARE-Komplexes, und somit für die Vesikelbildung beim Transmittertransport sehr wichtig.

Eine Reduktion synaptischer bei erhaltenen neuronalen Elementen legt nahe, dass die Volumenreduktion z. B. im Hippokampus reversibel ist. Tierexperimentelle Studien zeigten [12], dass bei Mäusen Bewegung zu einer Verbesserung der synaptischen Plastizität im Hippokampus und damit einhergehend der Kognition führt. Systematische Folgeuntersuchungen haben dies bei gesunden Menschen und psychiatrischen Patienten [13] bestätigt. Wir unternahmen eine kontrollierte Studie bei Patienten mit einer langjährigen Schizophrenie, die über drei Monate wöchentlich 3 × 30 min auf dem Fahrradergometer trainierten. Im Vergleich zu schizophrenen Patienten, die parallel wöchentlich 3 × 30 min Tischfußball spielten, zeigten die Teilnehmer der Sportgruppe eine Zunahme des Hippokampusvolumens um ca. 10 % und – gemessen mit den VLMT – eine signifikante Verbesserung des episodischen Gedächtnisses [14]. Die Untersuchung kortikaler Regionen ergab keine Veränderungen vergleichbaren Ausmaßes.

Was bewirkt diese Rückbildung der Volumenabnahme des Hippocampus? Älterer tierexperimenteller Literatur zufolge liegt sie wahrscheinlich an einer Zunahme synaptischer Proteine und einer Stabilisierung des glutamatergen Systems [15]. Darüber hinaus fördert Bewegung im Laufrad bei Mäusen Reparaturmechanismen des Telomers [16].

Das Beispiel Schizophrenie zeigt unser zu statisches Verständnis von Pathophysiologie und therapeutischen Möglichkeiten psychiatrischer Erkrankungen und mangelnde Einbeziehung der natürlichen Kompensationsmechanismen des menschlichen Gehirns, was sich auf die Depression und auch dementielle Erkrankungen ausdehnen lässt. Die Entdeckung der lebenslangen Neuroneogenese und auch die Trainierbarkeit der Plastizität generell muss zum Einschluss regenerativer Ansätze in unseren Therapieoptionen führen [17].

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Prof. Dr. med. Peter Falkai
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Prof. Dr. med. Andrea Schmitt

Ergänzendes Material

 
  • Literatur

  • 1 Häfner H, an der Heiden W. Course and outcome of schizophrenia. In: Hirsch S, Weinberger DR, (Hrsg) Schizophrenia. Oxford: Blackwell Publishing; 2003: 101-139
  • 2 Heinrichs RW, Zakzanis KK. Neurocognitive deficit in schizophrenia: a quantitative review of the evidence. Neuropsychology 1998; 12: 426-445
  • 3 Hulshoff Pol HE, Kahn RS. What happens after the first episode? A review of progressive brain changes in chronically ill patients with schizophrenia. Schizophr Bull 2008; 34: 354-366
  • 4 Meisenzahl EM, Koutsouleris N, Bottlender R et al. Structural brain alterations at different stages of schizophrenia: a voxel-based morphometric study. Schizophr Res 2008; 104 (01) 44-60
  • 5 Schmitt A, Steyskal C, Bernstein HG et al. Stereologic investigation of the posterior part of the hippocampus in schizophrenia. Acta Neuropathol 2009; 117: 395-407
  • 6 Falkai P, Honer WG, Bogerts B et al. No evidence for astrogliosis in brains of schizophrenic patients. A post-mortem study. Neuropathol Appl Neurobiol 1999; 25: 48-53
  • 7 Steiner J, Bielau H, Brisch R et al. Immunological aspects in the neurobiology of suicide: elevated microglial density in schizophrenia and depression is associated with suicide. J Psychiatr Res 2008; 42: 151-157
  • 8 Ho BC, Andreasen NC, Ziebell S et al. Long-term antipsychotic treatment and brain volumes: a longitudinal study of first-episode schizophrenia. Arch Gen Psychiatry 2011; 68: 128-137
  • 9 Bogerts B, Meertz E, Schönfeldt-Bausch R. Basal ganglia and limbic system pathology in schizophrenia. A morphometric study of brain volume and shrinkage. Arch Gen Psychiatry 1985; 42: 784-791
  • 10 Bogerts B, Falkai P, Haupts M et al. Post-mortem volume measurements of limbic system and basal ganglia structures in chronic schizophrenics. Initial results from a new brain collection. Schizophr Res 1990; 3: 295-301
  • 11 Honer WG, Falkai P, Chen C et al. Synaptic and plasticity-associated proteins in anterior frontal cortex in severe mental illness. Neuroscience 1999; 91: 1247-1255
  • 12 van Praag H, Christie BR, Sejnowski TJ et al. Running enhances neurogenesis, learning, and long-term potentiation in mice. Proc Natl Acad Sci U S A 1999; 96: 13427-13431
  • 13 Pereira AC, Huddleston DE, Brickman AM et al. An in vivo correlate of exercise-induced neurogenesis in the adult dentate gyrus. Proc Natl Acad Sci USA 2007; 104: 5638-5643
  • 14 Pajonk FG, Wobrock T, Gruber O et al. Hippocampal plasticity in response to exercise in schizophrenia. Arch Gen Psychiatry 2010; 67: 133-143
  • 15 Vaynman S, Ying Z, Gomez-Pinilla F. Interplay between brain-derived neurotrophic factor and signal transduction modulators in the regulation of the effects of exercise on synaptic-plasticity. Neuroscience 2003; 122: 647-657
  • 16 Wolf SA, Melnik A, Kempermann G. Physical exercise increases adult neurogenesis and telomerase activity, and improves behavioral deficits in a mouse model of schizophrenia. Brain Behav Immun 2011; 25: 971-80
  • 17 Hasan A, Aborowa R, Nitsche MA et al. Abnormal bihemispheric responses in schizophrenia patients following cathodal transcranial direct stimulation. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2012 Feb 9 [Epub ahead of print]