Der Klinikarzt 2012; 41(5): 258
DOI: 10.1055/s-0032-1316509
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Leitlinien geben wichtige Orientierungshilfe – Antimykotische Therapieentscheidung bleibt individuell

Andreas Groll
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Publication Date:
04 June 2012 (online)

Ein zentrales Anliegen der Sektion „Antimykotische Chemotherapie” der Paul-Ehrlich-Gesellschaft ist die Erarbeitung und Aktualisierung von Therapieleitlinien. Für Candida-Infektionen haben die Fachgesellschaften PEG (Paul-Ehrlich-Gesellschaft e.V.) und DMykG (Deutschsprachige Mykologische Gesellschaft e.V.) gemeinsame Leitlinien vorgelegt. Erarbeitet werden derzeit u.a. Empfehlungen zur Therapie der invasiven Aspergillose. Wir sprachen mit Professor Dr. med. Andreas H. Groll, Münster, 2. Vorsitzender der DMykG und seit rund 10 Jahren Leiter der PEG Sektion Antimykotische Chemotherapie, über die Entwicklungen in der antimykotischen Therapie.

Beide Gesellschaften beschäftigen sich mit dem Thema Mykosen. Wo sind die Unterschiede und wo sind die Schnittstellen?

Prof. Groll: Die wesentliche Schnittstelle ist die antimykotische Chemotherapie. Die PEG ist eine fachübergreifende Gesellschaft, die sich mit infektiologischen Fragestellungen und speziell der antimikrobiellen Chemotherapie befasst. Die Schnittstelle zur DMykG, deren Aufgabenbereich das gesamte Gebiet der laborbasierten und klinischen Mykologie umfasst, ist die Diagnose, Behandlung und Prävention von Pilzinfektionen. Gemeinsam ist beiden Gesellschaften der multidisziplinäre Charakter ihres Aufgaben- und Interessensgebietes.

In den letzten 10 Jahren hat sich diagnostisch und therapeutisch einiges verändert und entwickelt. Für welche medizinischen Fachgebiete hat die Mykologie besondere Bedeutung?

Groll: In der Dermatologie nimmt die Mykologie seit jeher einen hohen Stellenwert ein. In den letzten 15–20 Jahren sind es aber zunehmend Fachbereiche wie Hämato-/Onkologie, Transplantations- und Intensivmedizin, in denen invasive Pilzinfektionen aufgrund ihrer hohen Morbidität und Mortalität einen wichtigen Stellenwert eingenommen haben.

Wie beurteilen Sie den Ausbildungsstand der Mediziner in Bezug auf die Mykologie?

Groll: Für den approbierten Mediziner entwickeln sich Wissen und Expertise meist erst in der klinischen Auseinandersetzung mit den betroffenen Patientenpopulationen. Wichtig sind dabei infektiologisch ausgebildete Oberärzte und eine enge Zusammenarbeit mit der Mikrobiologie. Insgesamt ist die Mykologie in den Kliniken besser vertreten als noch vor 20 Jahren; im mikrobiologischen Bereich ist dagegen ein Abbau der mykologischen Expertise zu verzeichnen, der von unseren Fachgesellschaften eine Antwort verlangt.

Hat die Entwicklung bzw. Verfügbarkeit neuer Antimykotika dazu beigetragen, dass ein Mykosebewusstsein entstanden ist?

Groll: Ganz sicher hat die Aufmerksamkeit bezüglich invasiver Pilzinfektionen im klinischen Bereich einen deutlichen Schub erhalten. Gleichzeitig hat aber auch eine Stimulation von Grundlagenforschung, angewandter Laborforschung wie auch der klinischen Forschung stattgefunden, deren Momentum aufrechterhalten werden muss, um unsere Kenntnisse über die Biologie der Pilzerreger zu erweitern und Prävention, Diagnose und Behandlung invasiver Pilzinfektionen voranzutreiben. In der Tat weisen jüngere epidemiologische Studien auf ein verbessertes Outcome bei invasiven Pilzinfektionen hin.

Muss jeder Fall individuell betrachtet werden?

Groll: Dem stimme ich zu: Leitlinien geben evidenzbasierte Vorgaben für ein Vorgehen. Die Entscheidung über dieses Vorgehen jedoch ist gerade bei komplex kranken Patienten zumeist eine individualisierte und muss häufig im interdisziplinären Diskurs erfolgen.

Die therapeutische Palette der Antimykotika zur Behandlung der Aspergillose ist relativ klein, als Goldstandard gilt das seit 10 Jahren verfügbare Voriconazol. Fällt die Wahl dementsprechend leicht oder ist es doch eine schwierige Entscheidung?

Groll: Zur Erstlinientherapie zugelassen sind Voriconazol sowie liposomales Amphotericin B. Welche Substanz für den individuellen Patienten infrage kommt, hängt von mehreren Faktoren ab: Vorbehandlung mit Antimykotika, Komorbiditäten und Organfunktionen, Komedikationen, dem von der Pilzinfektion betroffenen Organ und zunehmend auch den Ergebnissen der Resistenztestung.

Sind die derzeitigen Therapieoptionen aus Ihrer Sicht zufriedenstellend?

Groll: Jedwede Therapie kann immer noch optimiert werden. Wenn nach wie vor zwischen 40 und 90 % der Patienten mit invasiven Pilzinfektionen im Zusammenhang mit der Infektion sterben, dann ist dies Grund, weiter nach Verbesserungen zu suchen. Diese können neben strukturellen Maßnahmen nur durch weitere intensive Forschung in Labor und Klinik erzielt werden.

Die diesjährige wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft findet gemeinsam mit der Tagung der ISHAM (International Society of Human and Animal Mycology) vom 11.–15. Juni 2012 in Berlin statt. Die ISHAM findet alle 3 Jahre statt und erstmals in Berlin. Das ist für jeden mykologisch Interessierten ein gewaltiger Fundus an Informationen und eine besondere Gelegenheit internationalen Mykologen zu begegnen. Was ist für Sie das Highlight der ISHAM?

Groll: Ich freue mich sehr darauf, nach Berlin zu kommen. Das Organisationskommittee der DMykG um Professor Ruhnke hat ein außerordentlich interessantes und hochkarätiges Programm erarbeitet, in dem die neuesten internationalen Ergebnisse und Trends auch der klinischen Mykologie repräsentiert und ausgiebig diskutiert werden. Ich bin sicher, dass es eine der besten ISHAM Tagungen überhaupt werden wird. Anmeldung und Informationen über http://www.isham.org.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Gabriele Henning-Wrobel, Erwitte

„Zur Primärtherapie invasiver Aspergillosen empfehlen die ECIL-3-, IDSA- und DGHO-Leitlinien aktuell das Azolantimykotikum Voriconazol als einziges jeweils mit dem Evidenzgrad A I.“