Dtsch Med Wochenschr 2012; 137 - A22
DOI: 10.1055/s-0032-1323185

Wie beeinflussen Leitlinien die ärztliche Einschätzung von Risiken: Analyse am Beispiel der Behandlung von PatientInnen mit akutem Herzinfarkt und Vorhofflimmern aus Berlin

S Behrens 1, C Hegenbarth 2, B Maier 2, R Schoeller 3, H Schühlen 4, H Theres 5
  • 1Vivantes Humboldt Klinikum, Berlin
  • 2Berliner Herzinfarktregister e.V. an TU Berlin, Berlin
  • 3DRK Kliniken Berlin | Westend - Kardiologie, Berlin
  • 4Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum - Kardiologie, Berlin
  • 5MEDICAL PARK Berlin Humboldtmühle, Innere Medizin/Kardiologie, Berlin

Hintergrund: Für PatientInnen mit Vorhofflimmern (VHF) und akutem Myokardinfarkt (MI) empfehlen die Leitlinien (LL) bei Krankenhausentlassung eine 3-er Kombination aus gerinnungshemmenden Medikamenten, um einem Reinfarkt und einem Schlaganfall vorzubeugen. Dieselben Medikamente können auf der anderen Seite zu Blutungen führen, so dass hinsichtlich des individuellen Einsatzes der gerinnungshemmenden Medikation eine Abwägung zwischen Blutungsrisiko und Schlaganfallrisiko getroffen werden muss.

Methode: Im Rahmen eines Projekts zum Vorhofflimmern (AFibACS Projekt) wurden im Berliner Herzinfarktregister seit 1.4.08 Daten von 795 MI Patienten mit VHF gesammelt und das Blutungsrisiko (über den HAS BLED Score) sowie das Schlaganfallrisiko (über den CHA2DS2-VASc Score) ermittelt.

Ergebnisse: MI PatientInnen mit VHF: 41% Frauen mit mannigfachen Begleiterkrankungen (Diabetes 42%, Niereninsuffizienz 36%, Herzinsuffizienz 32%, früherer Infarkt 28%, früherer Apoplex 18%), im Mittel 76 Jahre. Bei Entlassung stand die Verhinderung des Reinfarkts über blutplättchenhemmende Medikamente (ASS und Clopidogrel oder Prasugrel) mit 83% im Vordergrund der Therapie. Nur 1/3 der PatientInnen erhielt zusätzlich eine Antikoagulation. Die in den LL definierten Scores zur Abschätzung der Blutungs- und Schlaganfallwahrscheinlichkeit hatten im Alltag einen geringen Einfluss auf die eingesetzte Behandlung. Über die Zeit ist eine Zunahme des Einsatzes der 3-er Kombination von 22% in 2008 auf 37% in 2011 feststellbar.

Schlussfolgerungen:

  • Bei den PatientInnen stand die Verhinderung des Reinfarkts über blutplättchenhemmende Medikamente im Vordergrund. Die zusätzliche Antikoagulation zur Schlaganfallprophylaxe wurde seltener verordnet als es LL empfehlen.

  • Über die Zeit zeigen sich erste Veränderungen. Die weitere Darstellung der Versorgungsrealität wird zeigen, wie und ob sich die Behandlung weiter verändern wird.

Literatur: 1. Camm AJ et al. Guidelines for the management of atrial fibrillation: The Task Force for the Management of Atrial Fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC) EHJ 2010;31:2369-2429

2. Fuster V et al. ACC/AHA/ESC 2006 Guidelines for the Management of Patients With Atrial Fibrillation—Executive Summary. Circulation 2006;114:700-752.

3. Paikin JS et al. Triple antithrombotic therapy in patients with atrial fibrillation and coronary artery stents. Circulation 2010;121:2067-2070