Dtsch Med Wochenschr 2012; 137 - A134
DOI: 10.1055/s-0032-1323297

Kann Andersens Behavioral Model die Unterschiede in der Inanspruchnahme ambulanter ärztlicher Versorgung zwischen Deutschland und Norwegen erklären?

WJ Herrmann 1, A Haarmann 1, M Herrmann 1
  • 1Institut für Allgemeinmedizin; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg

Die ambulante Inanspruchnahme ist in Deutschland mit ca. 17 Arztkontakten/Jahr im internationalen Vergleich hoch. So beträgt in Norwegen die Zahl der Arztkontakte ca. 5/Jahr. Ein verbreitetes Modell des Inanspruchnahmeverhaltens ist Andersens Behavioral Model. Andersen unterschied in seinem Modell prädisponierende Faktoren (demographische Faktoren, Sozialstruktur, Health Beliefs), ermöglichende Faktoren (Familie, Gemeinde) und den wahrgenommenen Bedarf medizinischer Versorgung. Später ergänzte Andersen das Modell um Aspekte des Gesundheitssystems (Policy, Ressourcen, Organisation).

Fragestellung: Kann Andersens Behavioral Model die hohe Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung in Deutschland im Vergleich zu Norwegen erklären?

Methodik: Wir verglichen die Faktoren aus Andersens Behavioral Model zwischen Deutschland und Norwegen. Datengrundlage waren öffentlich zugängliche statistische Angaben. Wir bestimmten für jeden einzelnen Faktor, in welche Richtung und in welcher Größenordnung er die Inanspruchnahme nach Andersens Modell beeinflussen sollte.

Ergebnisse: Prädisponierende Faktoren unterschieden sich zwischen Deutschland und Norwegen nicht grundlegend. Zu Health Beliefs konnten wir keine vergleichbaren Daten finden. Die ermöglichenden Faktoren Familie und Gemeinde sind in Norwegen stärker ausgeprägt, was nach Andersens Modell zu einer höheren Inanspruchnahme in Norwegen führen sollte. Während der Bedarf medizinischer Versorgung bei ähnlicher Morbidität in Deutschland und Norwegen gleich sein sollte, finden sich zum wahrgenommenen Bedarf keine Daten. Aspekte des Gesundheitssystems können die unterschiedliche Höhe der Inanspruchnahme nur zu einem kleinen Teil erklären.

Schlussfolgerung: Andersens Health Belief Model kann die Unterschiede in der Inanspruchnahme zwischen Deutschland und Norwegen nur zu einem kleinen Teil erklären. Die Bedeutung subjektiver Faktoren des Modells wie Health Beliefs und wahrgenommener Bedarf bleibt jedoch offen.