Dtsch Med Wochenschr 2012; 137 - A262
DOI: 10.1055/s-0032-1323425

Die Psychosomatische Sprechstunde im Betrieb – Chancen und Grenzen der Versorgung von Beschäftigten mit psychischen oder psychosomatischen Beschwerden – Ergebnisse einer qualitativen Studie

C Preiser 1, MA Rieger 1
  • 1Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Tübingen

Hintergrund und Ziel:

Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Bedeutung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen in der Arbeitswelt [1, 2, 6] und langen Wartezeiten in der kassenärztlichen Regelversorgung [3] haben einige große Unternehmen eine Psychosomatische Sprechstunde im Betrieb (PS) eingerichtet [4]. Dort können Beschäftigte auf Kosten des Betriebes ein Erstgespräch mit einem psychosomatischen Spezialisten erhalten. Ziel der Studie war es, Chancen, Grenzen, Optimierungs- und Transfermöglichkeiten der PS zu erforschen.

Methode:

Die explorative Studie wurde mit qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung durchgeführt. Es wurden zwei Fokusgruppeninterviews mit jeweils fünf Betriebsärzten sowie acht Experteninterviews mit Experten von Personalvertretungen, Personalleitungen, Betriebskrankenkassen, innerbetrieblichen Beratungsangeboten und betriebsärztlichen Diensten geführt. Zur Kontrastierung wurden Akteure mit und ohne Erfahrung mit dem Angebot befragt. Die Interviews wurden im Team inhaltsanalytisch ausgewertet [5].

Ergebnisse:

Als Chancen und Wirkungsfaktoren der PS nennen die Befragten den frühen und schnellen Zugang zu einem externen psychosomatischen Spezialisten. Dadurch können lange Fehlzeiten vermieden werden. Für einen Teil der Nutzenden reicht der Besuch der PS aus, sodass eine Weiterbehandlung in der kassenärztlichen Regelversorgung nicht notwendig wird. Die PS stößt betriebsintern dort an ihre Grenzen, wo trotz arbeitsbedingter Fehlbelastungen strukturelle Veränderungen am Arbeitsplatz ausbleiben. Eine externe Grenze der PS stellen mangelnde Therapieplätze dar, wenn Beschäftigte Bedarf an einer Weiterbehandlung haben.

Diskussion:

Die Befragten zeigen eine hohe Zufriedenheit bzw. eine hohe Akzeptanz der PS. Hemmnisse und Grenzen werden selten genannt, vielmehr der Bedarf und die Chancen der PS thematisiert. Über die Wirksamkeit der PS kann die Studie keine Aussagen treffen. Diese ist Gegenstand eines aktuellen Forschungsprojektes [7].

Literatur: [1] Barmer Ersatzkasse (2009): Gesundheitsreport. Eigenverlag.

[2] BKK Bundesverband (2006): Psychisch krank im Job. Was tun? Essen: Eigenverlag.

[3] Kruse, J.; Herzog, W. (2012): Zur psychosomatischen/ psychotherapeutischen Versorgung in der kassenärztlichen Versorgung in Deutschland – Formen der Versorgung und ihre Effizienz. Zwischenbericht. Gutachten im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Heidelberg/Gießen.

[4] Mayer, D.; Schmidt, H.; Hölzer, M. (2010): "Psychosomatische Sprechstunde" und "Psychosmatische Grundversorgung in der Arbeitsmedizin". Erfahrungen aus der Automobil-Industrie. In: Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin, 45. Jg., H. 10, S. 593–597.

[5] Mayring, P. (2003): Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. 8. Aufl. Weinheim: Beltz Verlag, 100-101.

[6] Rehfeld, U. G. (2006): Gesundheitsbedingte Frühberentung. Herausgegeben von Robert Koch-Institut. (Gesundheitsberichterstattung des Bundes Themenheft, 30).

[7] Gündel H. Rothermund E. Die Psychosomatische Sprechstunde im Betrieb – Ein neues Versorgungsmodell an der Schnittstelle zwischen betriebsärztlicher Betreuung und Konsiliarpsychosomatik. 2011.

http://www.uniklinik-ulm.de/struktur/kliniken/psychosomatische-medizin-und-psychotherapie/home/forschung/projekte/die-psychosomatische-sprechstunde-im-betrieb.html (letzter Abruf am 9.1.2012).

Die Studie wurde mit finanzieller Unterstützung des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg durchgeführt.