Dtsch Med Wochenschr 2012; 137 - A370
DOI: 10.1055/s-0032-1323533

Zahnersatz und Prävention von Malnutrition

B Wöstmann 1
  • 1Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Gießen

Nach wie vor ist die Frage, wie viele Zähne ein Mensch zur adäquaten Nahrungsaufnahme und Zerkleinerung der Nahrung benötigt, nicht abschließend geklärt. Zwar besteht grundsätzlich ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der vorhandenen oder durch Zahnersatz ersetzten Zähne und der Zerkleinerungsfähigkeit eines Gebisses. Es existieren ebenfalls Hinweise darauf, dass ein unzureichend versorgtes Kauorgan messbar mit einem nicht zureichenden Gesamternährungszustand korreliert ist (1,4). Vielfach wird in diesem Zusammenhang die sozio-ökonomischen Komponente als der wesentliche bestimmende Faktor angesehen (21). Die Problematik wird dadurch aggreviert, dass eine alleinige Verbesserung der Kaufunktion durch eine Rekonstruktion des Kauorgans in der Regel zwar zu einer Verbesserung der Kaufähigkeit, keineswegs aber zu einer Änderung der Ernährungsgewohnheiten oder zu einer Verbesserung des Ernährungszustandes führt. Gerade sehr alte Patienten haben sich an den unzureichenden Zustand ihres Kauorgans gewöhnt und empfinden die dadurch induzierte Reduktion ihres Speiseplanes nicht mehr als Einschränkung. Demzufolge nutzen sie dann auch die durch eine zahnärztliche Rehabilitation neu gewonnen Kaufähigkeit nicht. Vor diesem Hintergrund ist das Bestreben, stets ein vollständiges Kauorgan mit 28 Zähnen anzustreben, außerordentlich fragwürdig: Weder Lebensqualität noch Allgemeingesundheit sind mit der Zahl der insgesamt vorhanden Kaueinheiten korrelierbar; vielmehr kann gerade im Hinblick auf die Lebensqualität eine „Komplettierung um jeden Preis“ sogar abträglich sein (3). In allem in Situationen in denen wenige Zähne durch herausnehmbaren Ersatz rekonstruiert werden während die Alternative in einer zwar verkürzten Zahnreihe, dafür aber festsitzenden Versorgung besteht. Präventionsorientierte rekonstruktive Zahnmedizin kann daher nur die höchste Aufmerksamkeit auf den Erhalt vorhandener Zähne legen und nicht auf den möglichst vollständigen Ersatz fehlender Zähne.

Literatur: 1.) Appollonio I, Carabellese C, Frattola A, Trabucchi M (1997) Influence of dental status on dietary intake and survival in community-dwelling elderly subjects. Age Ageing 26:445-456

2.) Keller HH (1993) Malnutrition in institutionalized elderly: how and why? J Am Geriatr Soc 41:1212-1218

3.) Meeuwissen JH, van Waas MA, Meeuwissen R, Kayser AF, van 't Hof MA, Kalk W (1995) Satisfaction with reduced dentitions in elderly people. J Oral Rehabil 22:397-401

4.) Witter DJ, Cramwinckel AB, van Rossum GM, Kayser AF (1990) Shortened dental arches and masticatory ability. J Dent 18:185-189