physioscience 2012; 8(4): 169-170
DOI: 10.1055/s-0032-1325568
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Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz Neufassung August 2011

Kommentierte Zusammenfassung der Empfehlungen für physiotherapeutische Interventionen
K. Lüdtke
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Publication Date:
29 November 2012 (online)

Am 01.08.2011 veröffentlichte die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) die Neufassung der Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) Kreuzschmerzen [3]. Das Dokument soll bis Oktober 2014 gültig bleiben.

Hierbei handelt es sich um eine als S3 klassifizierte Leitlinie, also ein Dokument, das allen Elementen einer systematischen Entwicklung (Logik-, Entscheidungs- und Outcome-Analyse) entspricht. Die genauen Empfehlungen für die Entwicklung einer S3-Leitline sind auf der Website der AWMF nachzulesen [2]. Der Prozess beinhaltet eine systematische Recherche und Qualitätsbegutachtung der vorhandenen Evidenz durch ein interdisziplinäres Gremium und resultiert in konkreten evidenzbasierten Handlungsempfehlungen für Kliniker und Patienten.

Die Autoren definieren die Rolle einer Versorgungsleitlinie als eine „evidenzbasierte ärztliche Entscheidungshilfe für die strukturierte medizinische Versorgung im deutschen Gesundheitssystem“ [3]. Es handelt sich also nicht um eine gesetzlich bindende Handlungsanweisung, sondern vielmehr um eine Unterstützung bei der Entscheidungsfindung im klinischen Alltag mit Rückenschmerzpatienten.

An der Erstellung der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerzen waren eine Reihe medizinischer Verbände aller Fachrichtungen, ein Berufsverband der Psychologen, die Deutsche Gesellschaft für das Studium des Schmerzes, der Deutsche Verband der Ergotherapeuten und stellvertretend für den Beruf der Physiotherapeuten der Deutsche Verband für Physiotherapie (ZVK) vertreten. Patientengremium ist die Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew.

Rückenschmerzen werden im Rahmen dieser Leitlinie wie folgt definiert: „Rückenschmerzen im Allgemeinen sind unterschiedlich starke Schmerzen des menschlichen Rückens, die ganz verschiedene Ursachen haben können. Die Empfehlungen dieser Leitlinie beschränken sich auf die Versorgung der Patientengruppe mit nichtspezifischem Kreuzschmerz“ [3].

Explizite Zielsetzung der NVL ist „eine beschwerdeorientierte und individuelle Therapie des Kreuzschmerzes, die auf Schmerzkontrolle und möglichst rasche funktionelle Wiederherstellung ausgerichtet sein soll“ [3].

Im Rahmen der evidenzbasierten Medizin ist eine leitliniengemäße Patientenversorgung wünschenswert, aber wie hilfreich ist die vorliegende NVL für den Beruf der Physiotherapeuten?

Bereits ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis weckt erste Zweifel, wie gut Physiotherapeuten bei der Erstellung dieser NVL tatsächlich vertreten waren. Zwar wird Ergotherapie als nicht medikamentöse Behandlung aufgeführt, nicht jedoch Physiotherapie, die sich unter den Rubriken Bewegungstherapie, Massage, Mobilisation/Manipulation, Elektrotherapie, Thermotherapie und Rückenschule verbirgt. Da sowohl Ergo- als auch Physiotherapie mehrere dieser Interventionen durchführen, ist unklar, warum das Inhaltsverzeichnis auf diese Art und Weise erstellt wurde. Auch die Abschnitte zu den Therapieempfehlungen und zur zugrundeliegenden Evidenz geben keinen Aufschluss über diese Entscheidung.