Suchttherapie 2013; 14(01): 47
DOI: 10.1055/s-0032-1331764
Buchbesprechung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Praxisbuch Sucht. Therapie der Sucht­erkrankungen im Jugend- und Erwach­senenalter

Gallus Bischof
1   Lübeck
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Publication Date:
13 February 2013 (online)

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[1] Das von Anil Batra und Oliver Bilke-Hentsch herausgegebene „Praxisbuch Sucht“ basiert auf den Behandlungsleitlinien der DG-Sucht und der DGPPN und ist in 3 Teile gegliedert.

Ein erster, vergleichsweise kurzer Abschnitt gibt einen Überblick zu Fragen der Diagnostik und Klassifikation, Einflussfaktoren für Entwicklung einer Abhängigkeit bzw. Herausbildung von Resilienz, biologischen Grundlagen der Suchtentwicklung sowie psychologischen Konstrukten und Motivationstheorien. In diesem Teil des Buches finden sich in knapper Form auf lediglich 32 Seiten zentrale Grundlagen skizziert, die insbesondere Einsteigern einen schnellen Überblick erlauben.

Im zweiten Abschnitt des Buches werden unter der Überschrift „Psychotherapie“ einzelne Behandlungsansätze skizziert, die sich von verbreiteten Behandlungsformen wie Psychoeduka­tion, Motivational Interviewing, Kognitiven und Psychodynamischen Therapieformen bis hin zu neuen, bislang im Suchthilfesystem noch eher selten anzutreffenden Behandlungskonzepten wie Multidimensionaler Familientherapie und dem Community Reinforcement and Family Training erstrecken. Während die Beiträge einen ersten Eindruck der jeweiligen Verfahren liefern, bleibt die Auswahl der aufgenommenen Verfahren etwas rätselhaft; so fehlen neuere Ansätze wie achtsamkeitsbasierte Verfahren oder der evidenzbasierte Community Reinforcement Approach, während Psychoedukation in dem mit Psychotherapeutische Verfahren überschriebenen 2. Teil des Buches mit einem eigenen Kapitel vertreten ist.

Der dritte, umfangreichste Teil des Buches gibt einen Überblick zu verschiedenen mehr oder weniger gebräuchlichen Substanzen und Suchtformen sowie Spezifika der Behandlung der jeweiligen Störungsbilder. Auch finden sich bei den Darstellungen der meisten Substanzen noch Abschnitte zu Grundlagen der Abhängigkeitsentwicklung. Zusätzlich zu den stoffgebundenen Süchten sind 3 Kapitel den nichtstofflichen Suchtformen gewidmet, darunter jeweils eines dem Thema Glücksspielsucht und Computerspiel- bzw. Internetabhängigkeit und ein letztes Kapitel den in den Diagnosemanualen nicht berücksichtigten und (umstrittenen „neuen Suchtformen“ wie Kauf-, Sport-, Arbeits- und Sexsucht). Während die Themenfelder ­Alkohol, Tabak, Cannabis/Ecstasy und Opiate vergleichsweise umfangreich dargestellt werden, sind die übrigen Beiträge eher als kursorische Information zu werten. Zugleich ist jedoch die Aufteilung der einzelnen Kapitel nicht immer einleuchtend; so findet sich Ecstasy einmal gemeinsam in einem Kapitel mit Cannabis ausführlich, zum anderen auch in einem Beitrag zu Psychostimulanzien dargestellt. Auch die Überschriften sind z. T. irreführend: so beschränkt sich der Absatz zu „Biodrogen“ auf halluzinogene Substanzen, skizziert aber in diesem Zusammenhang auch den Konsum von LSD. Das Kapitel zu den „neuen Süchten“ zitiert nach einer kurzen Einleitung, aus der die diagnostischen Unsicherheiten hervorgehen, einzelne Behandlungsansätze zu Störungsbildern, deren Existenz umstritten ist. Hier wäre eine umfangreichere kritische Darstellung der derzeitigen klinisch-wissenschaftlichen Diskussion sicherlich hilfreich gewesen, nicht zuletzt, um keiner Inflationierung des Suchtbegriffs im Sinne der Alltagssprache Vorschub zu leisten.

Insgesamt stellt das Buch einen guten Überblick zu Modellannahmen, Störungsbildern und Behandlungsansätzen der verbreitetsten Suchterkrankungen dar. Die einzelnen Kapitel sind übersichtlich gegliedert und werden durch regelmäßige in Kastenform hervorgehobene Kernaussagen aufgelockert. Positiv ist weiterhin die Differenzierung der Beiträge in verschiedene Altersgruppen (Kinder, Jugendliche und Erwachsene) hervorzuheben. Allerdings vermag das Werk den gewählten Untertitel „Therapie der Suchterkrankungen im Jugend- und Erwachsenenalter“ nicht einzulösen; es finden sich lediglich Kurzdarstellungen gebräuchlicher Behandlungsformen, deren praktische Anwendung vertiefende Literatur erfordert. An dieser Stelle wären Literaturempfehlungen oder zumindest durchgängige Literaturhinweise für interessierte Praktiker hilfreich gewesen. Dennoch bietet das Buch auf lediglich 235 Seiten durchaus einen profunden Überblick zu Suchterkrankungen, welcher relevante Kernthemen übersichtlich und strukturiert darstellt. Umso ärgerlicher ist demgegenüber, dass das Buch an verschiedenen Stellen fehlerhafte Darstellungen (wenn z. B. das Screening-Instrument LAST als Instrument zur Erfassung des Schweregrades einer Suchterkrankung benannt wird oder das als Einzelbehandlung konzipierte Community Reinforcement and Family Training als Gruppentraining bezeichnet wird) oder antiquierte Empfehlungen (wenn z. B. für das Screening als Maßnahme zur Früherkennung Verfahren mit unzureichender Sensitivität wie der CAGE oder der MALT empfohlen werden) enthält. Auch wäre eine durchgängige Erwähnung der abzusehenden Veränderungen, welche die Einführung des DSM-V im Suchtbereich mit sich bringen dürften, wünschenswert; derzeit findet sich dieser Hinweis lediglich in den Beiträgen zu Computerspiel-/Internetabhängigkeit und zum pathologischen Glücksspiel.

Als Einstiegswerk für die Suchtarbeit, welches sich auch zur Prüfungsvorbereitung für die Qualifikation „Suchtmedizinische Grundversorgung“ eignet, dürfte das Werk dennoch eine Lücke in der derzeitigen Literatur zu Suchterkrankungen schließen.