Zusammenfassung
Im Juni 2012 hat die Bundesärztekammer die Behandlungsfehler-Statistik der Gutachterkommissionen
und Schlichtungsstellen für das Jahr 2011 veröffentlicht [1]. Nach wie vor betreffen im Krankenhausbereich und neu auch im ambulanten Bereich
mit Abstand die wenigsten Behandlungsfehlervorwürfe das Fachgebiet der HNO-Heilkunde.
Deutlich die meisten Zwischenfälle ereignen sich immer noch in den Disziplinen Unfallchirurgie
und Orthopädie. Insgesamt ist jedoch fachübergreifend eine Zunahme der Zahl der Behandlungsfehler
gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen: In 25,5% der bearbeiteten Fälle wurde ein Behandlungsfehler
als Ursache für einen Gesundheitsschaden ermittelt, der einen Schadensersatzanspruch
des Patienten begründete. Im Vorjahr waren es dagegen nur 24,7%. Über die Gründe kann
vielfach spekuliert werden, eine Rolle spielt jedoch sicherlich auch das Gesundheitssystem
selbst: Durch die gesundheitspolitischen Entwicklungen der letzten Zeit findet fortlaufend
eine Ökonomisierung der Medizin statt. Rationierungen und Honorardeckelungen führen
mehr und mehr dazu, dass Therapieentscheidungen nicht mehr ausschließlich am Wohl
des Patienten orientiert sind, sondern aus finanziellen oder bürokratischen Erwägungen
getroffen werden. Die Ausübung des Arztberufs unterliegt damit langfristig einem Wandel.
Die ärztliche Tätigkeit ist als freier Beruf zwar nach §§ 1, 3 der Musterberufsordnung
für Ärzte (MBO-Ä) grundsätzlich mit einem Gewinnstreben unvereinbar, jedoch muss auch
der Arzt Geld verdienen, was ihn mehr und mehr in die Rolle eines Gewerbetreibenden
drängt. Personalmangel und Personaleinsparungen führen zu einer Überlastung von Ärzten
und Pflegekräften und begünstigen somit ebenfalls Fehler. Unter dem Kostendruck leiden
dabei fast zwangsläufig die Qualität und auch das für den Behandlungserfolg so wichtige
Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Leidtragende sind dabei jedoch nicht
nur die Patienten, auch die Ärzteschaft befindet sich im ständigen Konflikt zwischen
den ethischen Anforderungen an ihren Berufsstand und den tatsächlichen Anforderungen
der Versorgungsrealität. Aber auch technischer und wissenschaftlicher Fortschritt
birgt neben Behandlungserfolgen neue Risiken, daneben erfordern insbesondere große
Krankenhäuser einen Organisationsaufwand, der bei Schwachstellen Fehler begünstigt.
Auch durch die zunehmende Verrechtlichung der Medizin, die nunmehr in dem geplanten
Patientenrechtegesetz einen vorläufigen Höhepunkt erreichen soll, rückt die Qualität
der ärztlichen Versorgung immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit [2]. Die ausdrückliche gesetzliche Regelung von Patientenrechten, die auch bislang außer
Frage standen, verfestigt das Bild vom Patienten, der vor seinem Arzt geschützt werden
muss. Dies begünstigt ein natürliches Misstrauen an der Qualität der Behandlung und
den Wunsch nach einer rechtlichen Überprüfung bei Misserfolg der Behandlung. Eine
völlig fehlerfreie Behandlung wird es jedoch wohl niemals geben. Schon daraus resultiert
daher die Verpflichtung, alles dafür zu tun, das Risiko so klein wie möglich zu halten.
Die Gefahren, die sich aus dem Behandlungsverhältnis ergeben können, sind vielseitig.
Nicht nur für den Patienten bestehen Risiken, insbesondere durch nicht oder nur unzureichend
erfolgte Aufklärung, Komplikationen oder Behandlungsfehler. Auch dem Arzt drohen rechtliche
Konsequenzen, wenn er sich nicht eindeutig an die immer größer werdenden Anforderungen
hält, die die Rechtsprechung und Gesetzgebung – nicht zuletzt durch das geplante Patientenrechtegesetz
– an ihn stellen. Im Folgenden sollen daher die Grundsätze und Besonderheiten dargestellt
werden, die bei der Aufklärung der Patienten gelten. Weiter soll auf die unterschiedlichen
Formen des Behandlungsfehlers mit den sich daraus ergebenden prozessrechtlichen Konsequenzen
eingegangen werden. Anschließend werden einige aktuelle Problemfelder in Bezug auf
die sonstigen möglichen Haftungsbereiche des Arztes in Klinik und Praxis dargestellt.
Abstract
Briefing and Accusation of Medical Malpractice – the Second Victim
In June 2012, the German Medical Association (Bundesärztekammer) published the statistics
of medical malpractice for 2011 [1]. Still ENT-specific accusations of medical malpractice
are by far the fewest in the field of hospitals and actually even in the outpatient
context. Clearly most of the unforeseen incidents still occur in the disciplines of
trauma surgery and orthopedics. In total, however, an increasing number of errors
in treatment can be noticed on the multidisciplinary level: in 25.5% of the registered
cases, an error in treatment was found to be the origin of damage to health justifying
a claim for compensation of the patient. In the year before, it was only 24.7%. The
reasons may be manifold, but the medical system itself certainly plays a major role
in this context: the recent developments related to health policy lead to a continuous
economisation of medical care. Rationing and limited remuneration more and more result
in the fact that therapeutic decisions are not exclusively made for the benefit of
the patient but that they are oriented at economic or bureaucratic aspects. Thus,
in the long term, practising medicine undergoes a change. According to the §§ 1, 3
of the professional code of conduct for doctors (Musterberufsordnung für Ärzte; MBO-Ä)
medical practice as liberal profession is principally incompatible with the pursuit
of profit, however, even doctors have to earn money which more and more makes him
play the role of a businessman. Lack of personnel and staff savings lead to excessive
workloads of physicians, caregivers, and nurses, which also favour errors. The quality
and even the confidential relationship between doctor and patient, which is important
for the treatment success, are necessarily affected by the cost pressure. The victims
in this context are not only the patients but also the physicians find themselves
in the continuous conflict between ethical requirements of their profession and the
actual requirements of the realities in the healthcare field. But also the technical
and scientific progress bear new risks beside the therapeutic successes, further especially
bigger hospitals require high efforts regarding organisation favouring errors in cases
of deficiencies. Even the increasing juridification of the medicine that is expected
to achieve a provisional highlight with the planned law of patients’ rights leads
to an important focus on the quality of medical care [2]. The explicit legal regulation
of patients’ rights, which have never been out of question up to now, confirms the
impression of patients who have to be protected from their doctors. This development
favours a natural mistrust in the quality of the treatment and the desire of legal
verification in cases of treatment failures. A totally perfect and error-free treatment,
however, will never occur. Already this fact leads to the obligation to do everything
possible to reduce the risk to an absolute minimum. The risks that might arise from
a relation of treatment are manifold. Not only may the patient undergo risks that
arise in particular from lacking or insufficient briefing, complications, or medical
malpractice. Also the doctor has to fear legal consequences if he does not stick clearly
to the increasing requirements that jurisdiction and legislation impose – not least
by the planned law of patients’ rights. In the following, the basic principles and
particularities will be described that apply for the patients’ briefing. Further the
different types of medical malpractice will be explained in relation to the resulting
procedural consequences. Finally some current problematic fields will be described
with regard to other possible liabilities or responsibilities of physicians in hospitals
or doctor’s offices.
Schlüsselwörter
Behandlungsfehler - Aufklärungsfehler - Dokumentation - Organiationsverschulden -
Haftung für ärztliche Behandlungsfehler
Key words
error in treatment - error in briefing - documentation - organization default - liability
for medical malpractice