PPH 2013; 19(06): 294-295
DOI: 10.1055/s-0033-1360796
Szene
Larses lyrische Lebensberatung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie spiele ich richtig?

Lars Ruppel
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Publication Date:
19 November 2013 (online)

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(Foto: Sven Bachmann_pixelshaping)

Ich frage mich oft, was man vor der Erfindung der Unterhaltungselektronik gegen Langeweile tun konnte. All die Menschen, die heute auf der Straße, in den Zügen oder während der Arbeit so geistesabwesend auf ihre Handys schauen oder bewegungslos vor dem Fernseher sitzen, müssen sich früher doch irgendwie beschäftigt haben. Vielleicht gibt es das Phänomen „Langeweile“ auch noch nicht so lange und alle elektronischen Spielzeuge wurden nur deswegen erfunden.

Dabei braucht man gar keine aufwendige Technik, um sich zu amüsieren, denn das wirksamste Mittel gegen Langeweile ist seit jeher das Spielen.

Spielen ist immer möglich und in seiner Vielfalt unbegrenzt. Klassiker, wie „Schere-Stein-Papier“, „Käsekästchen“ auf beschlagenen Glasscheiben oder „Ich sehe was, was du nicht siehst“, kommen sogar ganz ohne Hilfsmittel aus. Man sollte sich da ein Beispiel an Kindern nehmen, wie sie Kraft ihrer Fantasie im Spiel eigene Welten voller Abenteuer erschaffen. Joachim Ringelnatz hat das in seinem Gedicht „Kindersand“ sehr schön beschrieben.

So wie Kinder im Sand „Nichts und das Himmelreich“ finden, birgt auch die Sprache unendliche Möglichkeiten. Worte sind so viel mehr als nur ein Kommunikationsmittel. Sie sind ein Spielzeug, das wir immer dabei haben. Sie können sich reimen, sie können uns traurig machen, uns zum Lachen bringen, können laut und schnell explodieren oder langsam und leise erblühen. Versuchen Sie mal, Ihren Einkaufszettel zu reimen oder vertauschen Sie die Stuchbaben rährend Sie weben. Auch achtenswert: Alle Anfangsbuchstaben aufeinander abstimmen.

Die schönsten Sprachspiele findet man in Gedichten. Allerdings sind Gedichte nicht so einfach zu konsumieren, besonders für Menschen, die durch Alter, Krankheit oder geistige Behinderung sprachlich oder in ihrer Wahrnehmung eingeschränkt sind: Buchstaben sind oft zu klein gedruckt und lassen sich nur schwer entziffern; ein Vorleser lässt sich nicht lauter stellen; das Gehörte muss aufwendig im Kopf zu Bildern umgewandelt werden und die meisten Gedichte sind wesentlich schwieriger zu verstehen als das heutige Fernsehprogramm.

Gerade deswegen ist die Arbeit mit Gedichten in der Pflege so wichtig. Selbst das kürzeste Gedicht ist ein intensiver Impuls für das Gehirn. Poesie fordert uns heraus, genau hinzuhören, innezuhalten, sich zu konzentrieren und nachzudenken. Davon profitieren Vorleser und Zuhörer gleichermaßen. Mit den richtigen Kniffen können die Hürden, die durch Alter oder geistige Behinderung zwischen Gedicht und Publikum stehen, überwunden werden.

Das Gedicht „Kindersand“ kann man den Zuhörer sehr sinnlich erleben lassen. Reichen Sie einer Person vorsichtig Ihre Hand. Gehen Sie, wenn es nötig ist, in die Hocke, damit Sie sich mit ihr auf Augenhöhe befinden. Sagen Sie nun die erste Strophe des Gedichts und streicheln Sie mit ihrer Hand über ihre Handinnenflächen, als riesele Sand durch die Hand. Wenn sich mehrere Personen im Raum befinden, wiederholen Sie diesen Vorgang so oft, bis jeder in den Genuss der ersten Strophe gekommen ist.

Danach tragen Sie das Gedicht noch einmal vollständig vor. Achten Sie immer auf individuelle Bedürfnisse Ihrer Zuhörer was die Intensität der Berührung und Lautstärke des Vortrags betrifft. Variieren Sie die Betonung der einzelnen Strophen, damit die anderen Zuhörer sich nicht langweilen. Nehmen Sie sich genügend Zeit für jede Person, damit keine Hektik entsteht und sich die Zuhörer ganz auf Text und Berührung konzentrieren können.

Kindersand

Das Schönste für Kinder ist Sand.
Ihn gibt‘s immer reichlich.
Er rinnt unvergleichlich
Zärtlich durch die Hand.
Weil man seine Nase behält,
Wenn man auf ihn fällt,
Ist er so weich.
Kinderfinger fühlen,
Wenn sie in ihm wühlen,
Nichts und das Himmelreich.
Denn kein Kind lacht
Über gemahlene Macht.

Joachim Ringelnatz (1883-1934)

Ich bin der Meinung, dass sich jedes Gedicht so vortragen lässt, dass das Publikum, unabhängig von seinem Text, verstehen und mitfühlen kann. Suchen Sie sich ein Gedicht, das Ihnen gefällt. Die richtige Vortragsweise entdecken Sie selbst, indem Sie sich dem Gedicht nähern, so wie Kinder es tun würden: spielerisch.

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