Gesundheitswesen 2014; 76(07): 434-439
DOI: 10.1055/s-0034-1367007
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Assoziationen zu muslimischen Patienten in der Hausarztpraxis – Eine Befragung deutscher Allgemeinmediziner

Associations with Muslim Patients in General Practice Surgeries – A Survey among German General Practicioners
A. Kronenthaler
1   Lehrbereich Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen
,
H. Hiltner
1   Lehrbereich Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen
,
M. Eissler
1   Lehrbereich Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
08. Mai 2014 (online)

Zusammenfassung

Einleitung: Steigende Bevölkerungszahlen von Muslime in Deutschland1 – aktuell etwa 4,3 Millionen – bedingen ein zunehmend häufigeres Auftreten als Patienten in hausärztlichen Praxen. Dennoch sind ihre heterogenen kulturellen und religiösen Lebenshintergründe vielfach für die behandelnden Hausärzte unbekannt und fremdartig. Um von deren Erfahrungen ausgehend Entwicklungen der interkulturellen Handlungskompetenz zu erfassen, wurde in der vorliegenden Untersuchung ein Brainwriting mit Hausärzte durchgeführt, das ihre spontanen Assoziationen mit muslimischen Patienten erfasst.

Methodik: 90 Hausärzte (66 männlich, 24 weiblich) notierten subjektive Gedanken und Stichwörter zu „Muslimischer Patient“ und ohne Austausch auf ein vorbereitetes Blatt Papier. Auf diesem wurden zusätzlich Geschlecht, Alter, Anzahl der Jahre als niedergelassender Hausarzt und Häufigkeit der Behandlung von muslimischen Patienten in der eigenen Praxis abgefragt. Anhand der Notizen konnten mit dem Datenauswertungsprogramm MAXQDA folgende analy­tische Kategorien „Sprache“, „Untersuchung“, „Kopftuch“, „Männer/Frauen“, „Begleitung“, ­„Gewalt“, „Krankheitsverständnis“, „Psycho­ssomatik“ und „Compliance“, herausgearbeitet werden. Diese wurden inhaltsanalytisch ausgewertet.

Ergebnisse: Die notierten Gedanken zeigen, dass viele befragte Hausärzte die Behandlung muslimischer Patienten als schwierig wahrnehmen. Sie verbinden mit muslimischen Patienten eine durch sprachliche Verständigungsprobleme, andersartiges Krankheitsverständnis sowie mit Berührungsängsten belastete Untersuchungs­situation. Weniger häufig wurden positive Assoziationen und unproblematische Untersuchungssituationen ­notiert.

Schlussfolgerungen: Aufgrund mangelnden Wissens über kulturelle und religiöse Kontexte werden muslimische Patienten in den Ergebnissen wenig reflektiert und vielfach stereotypisierend dargestellt. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit interkulturelle Handlungskompetenz in der Alltagspraxis zu fördern und systematisch in den Ausbildungsprozess einzugliedern.

Abstract

Introduction: Due to the increasing numbers of Muslims in Germany1 – about 4.3 million at the moment – more Muslim patients are medicated in the practices of family doctors. Their heterogeneous cultural and religious backgrounds are nontheless unknown and unfamiliar for the treating general practitioner. Based on the daily experiences of the latter and in order to capture their development of intercultural competence, in the present study a brainwriting with general practitioners was conducted to record their spontaneous associations with Muslim patients.

Methodology: Individually and without exchange 90 general practitioners (66 male, 24 female) listed subjective thoughts regarding „Muslim patients“ on a prepared sheet of paper. Additionally, sex, age, number of years as physician in a private practice and the frequency of treatment of Muslim patients in their own practice were requested. The content of the notes were evaluated using MAXQDA and were clustered in the cate­gories of “language”, “company”, “violence”, “men”/„women”, “psychosomatic medicine”, “compliance”, “understanding of illness”, “phy­sical examination” and “head scarf”.

Results: The ideas listed show that the majority of interviewed general practitioners regarded the treatment of Muslim patients as difficult. They associate Muslim patients with communication problems, a different type of disease understanding and a fear of contact, which hampers the examination situation. Less frequently, positive associations and unproblematic examination situations were noted.

Conclusions: Due to a lack of knowledge about cultural and religious contexts Muslim patients are often described by using stereotypes. This underlines the necessity to foster intercultural competences and self-reflection in daily practice and its systematic inclusion in medical education.

1 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/72321/umfrage/entwicklung-der-anzahl-der-muslime-in-deutschland-seit-1945 http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/145148/religionszugehoerigkeit


 
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