Zeitschrift für Palliativmedizin 2014; 15 - V42
DOI: 10.1055/s-0034-1374105

Der Sterbeprozess aus tibetisch-buddhistischer Sicht

A Göppert 1
  • 1Tertön Sogyal Stiftung, Berlin, Deutschland

Der körperlich-seelische und geistige Auflösungsprozess im Sterben wird in der medizinisch-naturwissenschaftlichen Lehre bisher wenig präzise beschrieben. Viele Beobachtungen während des Sterbeprozesses bleiben weitgehend der individuellen Interpretation und Spekulation überlassen. Im tibetischen Buddhismus gibt es sehr detaillierte Lehren über den körperlichen und geistigen Auflösungsprozess im Sterben sowie Beschreibungen darüber, was nach der Trennung von Geist und Körper, d.h. nach dem Tod, geschieht. Diese Kenntnis über den Sterbeprozess hat zu einem Schulungssystem geführt, mit dem sich Meditierende auf ihren Tod geistig vorbereiten und ihm furchtlos begegnen können. Meditierende, die ihre Übung vervollkommnet haben, können nach ihrem klinischen Tod noch für einige Tage in einen Nachtod-Meditationszustand eintreten ohne Nachweis der zu erwartenden Verwesungserscheinungen. Für dieses auch heute noch zu beobachtende Phänomen gibt es zwar ein buddhistisches aber kein naturwissenschaftliches Erklärungsmodell. Die Erkenntnistheorie des Buddhismus ist geistig-meditativ. In den vergangenen Jahrzehnten wurde auf Initiative des Dalai Lama im „Mind & Life-Institut“ ein sehr erfolgreicher Dialog zwischen buddhistischen Gelehrten und westlichen Naturwissenschaftlern etabliert (www.mindandlife.org), der die Überprüfung buddhistischer, geisteswissenschaftlicher Erkenntnis mit naturwissenschaftlichen Methoden zum Ziel hat. Inspiriert von dieser Zusammenarbeit soll im vorliegenden Vortrag dem in der Beobachtung von Sterbeprozessen erfahrenen Publikum das Wissen aus der tibetisch-buddhistischen Tradition vorgestellt werden, mit dem Ziel, eine wissenschaftliche Überprüfung sowie die persönliche Reflektion anzuregen.

Die Autorin hat nach langjähriger palliativmedizinischer Tätigkeit an einer norddeutschen Universitätsklinik eine dreijährige buddhistische Studien- und Meditationsklausur bei Sogyal Rinpoche, dem Autor des „Tibetischen Buchs vom Leben und vom Sterben“, absolviert.