Zeitschrift für Palliativmedizin 2014; 15 - V121
DOI: 10.1055/s-0034-1374184

Essen heißt: „Ich lebe noch“

R Schmidt 1
  • 1Hospiz Hamburg Leuchtfeuer gGmbH, Küche, Hamburg, Deutschland

Warum braucht ein Hospiz eigentlich einen Koch?

Gibt es in der letzten Lebensphase nichts Wichtigeres als die Frage nach Essen?

Essen ist eine Alltagserfahrung und das Sprechen über Essenswünsche bedeutet für den Hospizbewohner ein Stück Normalität und Autonomie. Schmerzen und Ängste werden für kurze Zeit ausgeblendet.

Aufgrund von Medikamenten oder Chemotherapie haben sich die Geschmacksnerven vieler Bewohner stark verändert. Schärfe oder Säure wird nicht mehr vertragen.

Oft höre ich: „Alles schmeckt gleich“. Der Bewohner hat mit heftiger Übelkeit zu kämpfen. Häufig wird erstmal alles abgelehnt.

Gegen die Übelkeit gibt es Medikamente, gegen die Unlust auf Essen: Wunschkost. Äußert ein Bewohner so einen Wunsch, frage ich nach Erinnerungen, die mit diesem Gericht verbunden sind. Der Appetit nimmt meist zu, die Portionen können größer werden. Hoffnung keimt auf, denn Essen heißt: „Ich lebe noch, oder“? Essen bietet auch Lebensqualität zum Lebensende. Der Hospizbewohner hat ein Recht auf diesen „Fluchtweg“. Gemeinsam mit meinen KollegInnen begleite ich ihn dabei.

Es kommt der Zeitpunkt, an dem er nichts mehr verträgt, alles ablehnt: „Zu fade, zu kräftig, einfach nur pappig. Dann lieber nichts als so was“. Das Essen wird zum Stellvertreter für die eigene Situation.

Die Angehörigen aber drängen den Bewohner weiter zu essen, er müsse doch bei Kräften bleiben, könne doch nicht einfach aufgeben. Es kann sein, dass er länger weiter isst, um den Erwartungen und dem Druck der Familie gerecht zu werden.

Hier gilt es für uns zu vermitteln, die Angehörigen mit ins Boot holen, zu erklären, ihnen zuzuhören. Denn wir alle wissen: Essen heißt: „Ich lebe noch“; und wenn das wegfällt, wird es eng.

Empathie und Verständnis, eigene Grenzen ziehen und Abschied nehmen können, ist eine weitere große Herausforderung im Umgang mit den Bewohnern und den Menschen, die ihnen nahe stehen.

Hierfür braucht es eine sehr gute interdisziplinäre Zusammenarbeit. Sie nützt nicht nur den Bewohnern.