Zeitschrift für Palliativmedizin 2014; 15 - PA16
DOI: 10.1055/s-0034-1374241

„Nein, ich esse meine Suppe nicht!“ – Nahrungsverweigerung zwischen Autonomie und Verzweiflung

U Becker 1
  • 1Psychotherapeutische Praxis, Palliative Care und Demenz/Marte Meo, Alfter, Deutschland

Was will ein Mensch ausdrücken, der die Nahrung verweigert, sich aber verbal z.B. aufgrund einer Demenz nicht mehr äußern kann? Stellt dieses Verhalten einen klaren Ausdruck von Autonomie dar oder könnte es auch ein verzweifelter Hinweis darauf sein, dass wesentliche Bedürfnisse dieses Menschen nicht gesehen werden? Gibt es Kriterien, die geeignet sind, dem jeweiligen Menschen gerecht zu werden?

Das videobasierte Marte Meo-Konzept stellt einen Weg dar, Antworten auf diese Fragen zu geben. Es ist gleichermaßen beziehungs- und handlungsorientiert. Kurze Videos aus z.B. Essenssituationen werden genutzt, um zu sehen, ob die Grundbedürfnisse eines Menschen nach Bindung und Autonomie gesehen und in ausreichendem Maß befriedigt werden und der zu versorgende Mensch in die Lage versetzt wird zu verstehen, was ihn erwartet und wie er mit der Situation (Essen) umgehen kann.

Die ganz konkrete Analyse öffnet den Blick auf die kleinen aber bedeutsamen Worte, Gesten und Handlungen, die letztlich darüber entscheiden, ob sich ein Mensch im tiefsten Sinne wahrgenommen und respektiert fühlt. Auf diese Weise können Situationen von "Nahrungsverweigerung" genauer angeschaut werden. Handlungsoptionen werden deutlich.

Die Analyse videobasierter Beratungsprozesse macht deutlich, dass Menschen in so eingeschränkten Lebenssituationen wie z.B. der fortgeschrittenen Demenz uns als aufmerksames Gegenüber brauchen, das bereit ist, Beziehung herzustellen und die kleinen Initiativen des Erkrankten wahrzunehmen und aufzugreifen. Erst auf dieser Basis ist Verstehen möglich. Erhält ein Mensch mit Demenz diese "Nahrung für die Seele" nicht in ausreichendem Maße, muss Nahrungsverweigerung als Hilferuf in Betracht gezogen werden.