Zeitschrift für Palliativmedizin 2014; 15 - PA19
DOI: 10.1055/s-0034-1374244

Selbstbestimmtes Handeln am Lebensende – Autonomie und Vertrauen in der Interaktionsdynamik von Patienten und ihren Angehörigen

A Jung 1, G Marx 1, F Nauck 1, S Owusu Boakye 1
  • 1Universitätsmedizin Göttingen, Klinik für Palliativmedizin, Göttingen, Deutschland

Als nahestehende Personen sind Angehörige in der Lage, Einfluss auf Patienten und ihre Entscheidungsfindung zu nehmen. Besonders am Lebensende kann es zu Konflikten kommen, wenn es um die Durchsetzung jeweiliger Bedürfnisse geht. Unklar ist, welche Rolle Vertrauen in der Patienten-Angehörigen-Interaktion spielt bzw. welche Faktoren relevant sind, damit Patienten ihren Angehörigen gegenüber Autonomie einfordern und ggf. durchsetzen.

Durchführung von narrativen Interviews mit Patienten und ihren Angehörigen (n = 7 Paare). Wörtliche Transkription und anschließende interpretative Auswertung nach Grounded Theory.

Die Ausgestaltung von Patienten-Angehörigen-Interaktionen ist abhängig vom Grad der Akzeptanz der Diagnose und des Lebensendes, wobei Sichtbarkeit und funktionale Einschränkungen wichtige Aspekte sind. Der Wunsch beider Partner, den jeweils anderen nicht zu überfordern und Normalität aufrecht zu erhalten, hat Einfluss darauf, ob Bedürfnisse oder Ängste angesprochen werden und ob Patienten ihre Angehörigen in den Entscheidungsprozess einbeziehen. Geschlechterrollen können insofern Einfluss auf Entscheidungsmuster nehmen, als Frauen in der Bedürfnisumsetzung eher passiv auftreten, auch wenn sie selbst in der Patientenrolle sind. Patientenseitiges Vertrauen in das Urteil des sozialen Umfelds kann von der Entscheidungsverantwortung entlasten, aber auch, sofern Bedürfnisse anerkannt werden, Autonomie fördern. Respekt vor Autonomie der Patienten wird vor allem dort deutlich, wo Entscheidungen durch die Familienangehörigen mitgetragen werden – auch wenn diese eigenen Bedürfnissen entgegenstehen.

Autonomie kann durch Zweifel an der patientenseitigen Urteilsfähigkeit gefährdet werden. Eine Folge kann bevormundendes Verhalten durch die Angehörigen sein. Selbstbestimmung kann durch emotionale Unterstützung gestärkt werden, jedoch ist damit häufig ein Zurückstellen von eigenen Bedürfnissen verbunden – sowohl auf Seiten von Patienten als auch von Angehörigen.