Zeitschrift für Palliativmedizin 2014; 15 - PA30
DOI: 10.1055/s-0034-1374255

Ärztliche Erfahrungen in der Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen im Krankenhaus jenseits der Palliativmedizin

A Behzadi 1, A Hermann 2, G Leithäuser 1, P Thuss-Patience 1
  • 1Charité Universitätsmedizin, Campus Virchow-Klinikum, Klinik m.S. Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie, Berlin, Deutschland
  • 2Ernst von Bergmann Klinikum, Brustzentrum, Potsdam, Deutschland

Das Krankenhaus ist mit ca. 50% Sterbeort Nummer Eins in Deutschland. Damit ist die Versorgung Schwerstkranker und Sterbender neben der Akutversorgung eine zentrale Anforderung an Ärzte aller Fachdisziplinen.

Mit einem qualitativen Studiendesign wurden die Erfahrungen von Stationsärzten in der Versorgung dieser Patientengruppe sowie die Ressourcen dafür an ihrem Arbeitsplatz untersucht. Experteninterviews mit 30 Ärzten aus 13 medizinischen Fachdisziplinen aus zwei Krankenhäusern mit Maximalversorgung und Ressourcenanalysen bilden die Datengrundlage.

Ärzte im Krankenhaus erleben eine enorme Diskrepanz zwischen Ansprüchen an eine würdevolle Behandlung Schwerstkranker und Sterbender und ihrem klinischen Alltag. Strukturelle Unzulänglichkeiten wie fehlende Einarbeitung und Fall- und Teambesprechungen, Personalmangel sowie ein spärlich integriertes Angebot psychosozialer Hilfen werden durch individuelles Engagement ausgeglichen. Entscheidungen bzgl. Therapierückzug oder -beendigung sind ethische Herausforderungen, auf die Assistenzärzte kaum vorbereitet sind. Entscheidungsfindungen werden als personenabhängig und stark hierarchisch erlebt. Die Frage des Wann des Sterbens stellt sich im Stationsalltag vor das Wie des Sterbens. Palliative Care Aspekte der Lebensqualität und Symptomlinderung sind erst spät im Fokus der Behandlung. Hier wird v.a. die Pflege als kompetent und verantwortlich erlebt. Selbst wenn auf palliativmedizinisches Wissen zurückgegriffen werden kann, wird die Umsetzungsmöglichkeit vor dem Hintergrund von verkürzten Verweildauern und fehlender Anerkennung als begrenzt beschrieben.

Die Ergebnisse zeigen: a) Gesellschaftlich ungeklärte ethische Fragen müssen in der klinischen Praxis täglich beantwortet werden. Dieser Fakt wird bisher strukturell wenig anerkannt und unterstützt. b) Dies geschieht vor dem Hintergrund einer zunehmenden Ökonomisierung. c) Das Krankenhaus muss als Lernort verstanden werden, in dem Chef- und Oberärzte als Mentoren gefragt sind.