Zeitschrift für Phytotherapie 2014; 35(03): 103
DOI: 10.1055/s-0034-1384669
Editorial
© Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Leitlinien und ihre ungeahnten Konsequenzen

Karin Kraft

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Publication Date:
25 June 2014 (online)

Dieses Heft befasst sich mit urologischen Themen, die seit jeher eine Domäne der Phytotherapie waren. Da die zunehmende Problematik der Antibiotikaresistenz bei Harnwegsinfektionen neue Lösungen fordert, werden möglicherweise in nächster Zeit einige pflanzliche Urologika aus dem 10-jährigen Dornröschenschlaf seit 2004 erwachen. Insbesondere kann die Sinnhaftigkeit von Kombinationen aus einem neuen Blickwinkel begründet werden. Bei der benignen Prostatahyperplasie dürfte sich allmählich die Erkenntnis durchsetzen, dass eine symptomorientierte und dabei nebenwirkungsarme Therapie, wie sie mit pflanzlichen Prostatamitteln möglich ist, in vielen Fällen ausreicht.

Diese Ausgabe der ZPT enthält auch einen Artikel zur wissenschaftlichen Literaturrecherche. Wenn Sie damit bisher nicht vertraut waren, empfehle ich Ihnen, die angegebene Methodik einmal selbst nachzuvollziehen. Sie ist ein gutes Hilfsmittel, um sich in kurzer Zeit eine eigene Meinung zu medizinischen Themen, z.B. auch zu Belangen der Phytotherapie, bilden zu können. Das ist sehr wichtig, weil in großen deutschen Tageszeitungen und Wochenblättern in den letzten Jahren hin und wieder Artikel erscheinen, die scheinbar kritisch sind, aber bei genauerem Hinschauen mit deutlich tendenziöser oder polemischer Anmutung zur Phytotherapie Stellung beziehen. Typischerweise nennen sie Phytotherapie in einem Atemzug mit anderen freiverkäuflichen Arzneimitteln, aber auch mit Nahrungsergänzungsmitteln, führen selektiv diejenigen klinischen Studien auf, die die Wirksamkeit bei einer bestimmten Indikation nicht belegen konnten, und/oder stellen Nebenwirkungen übertrieben dar. Man würde sich wünschen, dass derartige Artikel vor ihrem Erscheinen einen Reviewprozess durch Fachleute durchlaufen und auch die Interessenlage des Verfassers angegeben werden müsste. Sollten Sie einen solchen Artikel entdecken, weisen Sie bitte die Redaktion darauf hin, dass einseitige Berichte von einer aufgeklärten Leserschaft negativ rezipiert werden und mittelfristig zu finanziellen Konsequenzen für die betreffende Zeitung bzw. Zeitschrift führen dürften. Journalisten, die mangelhaft recherchieren oder zielgerichtet unvollständig und einseitig informieren, muss hin und wieder die Rote Karte gezeigt werden.

Das vorliegende Heft gibt mir auch Gelegenheit, erneut auf die medizinischen Leitlinien hinzuweisen. Es zeichnet sich aktuell eine Tendenz zur Rücknahme von Empfehlungen zur Verabreichung von Antibiotika bei den „banalen“ Harnwegs- und Atemwegsinfektionen ab. Es bleibt zu hoffen, dass stattdessen die Optionen der Naturheilkunde und insbesondere der Phytotherapie qualifizierter berücksichtigt bzw. endlich erwähnt werden. Dies könnte insofern langfristig positive Konsequenzen haben, weil es bei vielen medizinischen Hochschullehrern mittlerweile gang und gäbe ist, in ihren Vorlesungen die Inhalte der betreffenden Leitlinien wiederzugeben. Das ist für die Lehrenden bequem, weil die Vorbereitungszeit dadurch verkürzt wird und man „auf der sicheren Seite“ ist. Vom allgemeinen Standpunkt ist diese Entwicklung allerdings nicht nur als günstig zu erachten, denn in den mündlichen Staatsexamina fällt mittlerweile auf, dass viele Medizinstudenten glauben, dass in der Medizin nur die Inhalte der Leitlinien relevant sind. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gelernten findet dagegen nicht statt. In logischer Konsequenz hört man gerade von den allgemeinmedizinisch tätigen Kollegen, dass sie zunehmend mit Weiterbildungsassistenten konfrontiert werden, die ihre pathophysiologischen Kenntnisse nicht kreativ in Therapieansätze umsetzen können, sondern ratlos sind, wenn sie keine passende Leitlinie auffinden können. Auch in vielen ärztlichen Fortbildungen werden oft nur die neuesten Updates von Leitlinien vorgestellt, hier allerdings zum Glück meistens recht reflektiert. Kasuistiken sind deshalb sehr wichtig: Bitte haben Sie Mut und beteiligen Sie uns an Ihrem Erfahrungsschatz, indem Sie uns Fälle aus dem praktischen Alltag zur Veröffentlichung schicken.