PPH 2014; 20(04): 227-228
DOI: 10.1055/s-0034-1384784
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Publication Date:
23 July 2014 (online)

Für Sie gelesen: aktuelle Pflegeliteratur zum Thema

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Petra Gromann, Hrsg. Schlüsselkompetenzen für die psychiatrische Arbeit, Fuldaer Schriften zur Gemeindepsychiatrie. Köln: Psychiatrie Verlag, 2013. ISBN: 978-3-88414-563-0, 124 Seiten, 19,95 Euro (Foto: Psychiatrie Verlag)

Die Autorinnen haben sich eine spannende Frage vorgenommen: Wie können Mitarbeiter der Sozial- und Gemeindepsychiatrie den Anforderungen gerecht werden, die sich aus Recoveryorientierung, bedürfnisorientierter Behandlung und der Teilhabeplanung ergeben? Welche sozial-kommunikativen, persönlichen und fachlichen Kompetenzen sind konkret gefordert, damit die Umsetzung von Konzepten, wie zum Beispiel „Need Adaptet Treatment“ oder „motivierende Gesprächsführung“ (sprich: die Umsetzung zeitgemäßer psychiatrischer Hilfen), gelingen kann? Welche Anforderungen bezüglich der Kompetenzen der Mitarbeiter sind neu?

Die Auseinandersetzung mit Schlüsselkompetenzen ist nicht nur Sache von Berufsverbänden oder Personalentwicklern. Schlüsselkompetenzen werden kaum über wissensbasierte Lehrpläne vermittelt, sondern sie müssen in der Praxis durch Selbstlernprozesse eingeübt werden. Auch deshalb sind sie ein Thema für Praktiker; ganz abgesehen davon, dass sie das „Handwerkszeug“ für die tägliche Arbeit sind.

Im vorliegenden Sammelband nähern sich vier aktuelle Forschungsbeiträge dieser Fragestellung. Sie befassen sich mit „Ungewissheit und Ohnmacht: Professionelle Beziehungskompetenz in der Sozialen Arbeit“ (Dahm, Kunstreich), „Schlüsselkompetenzen für die Umsetzung von Need Adaptet Treatment in England und Deutschland“ (Dangel), der Fähigkeit „Spezifische Bedarfe zu erkennen“ am Beispiel von jungen Erwachsenen mit Doppeldiagnose im Betreuten Wohnen (Janssen) und der Frage was „protektive Faktoren von Mitarbeitern bei Klientensuiziden“ sind (Boes). Vorweg gibt die Herausgeberin eine Einführung und Problemskizze.

Das mag eine recht willkürliche Reise durch den breiten Themendschungel sein, doch alle Einzelbeiträge beleuchten wichtige Aspekte. In allen Forschungsprojekten wurden qualitative Herangehensweisen gewählt und alle Beiträge sind gut aufbereitet; das macht sie alle lohnend zu lesen.

Das Buch will erforderliche Kompetenzen aufzeigen, indem Herausforderungen der Praxis analysiert werden. Es geht weniger der Frage nach wie man diese Kompetenzen vermitteln beziehungsweise sich aneignen kann und blendet Voraussetzungen und Kontexte aus. Auch die Beschreibung der Kompetenzen bleibt eine Skizze und wirft mehr Fragen als Antworten auf.

Am konkretesten wird der erste Beitrag; hier wird die Bedeutung einer förderlichen Grundhaltung mit ihren einzelnen „Haltungskompetenzen“ gut herausgearbeitet. Zu den Beziehungskompetenzen und der ewigen und so kontrovers diskutierten Nähe-Distanz-Frage entwickeln die beiden Autoren erfrischend klare Aussagen. Und sie legen dar, dass Kompetenzen individuell konstruiert werden müssen und von situativen und kontextrelevanten Faktoren abhängen – und es daher kein allgemeingültiges „Beziehungskompetenzkonzept“ geben kann.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Buch zu einer relevanten Fragestellung ein paar erhellende Impulse bietet und zum Weiterdenken anregt. Doch der Buchtitel ist zu großspurig gewählt, er löst Erwartungen aus, denen ein Sammelband in dieser Form nicht gerecht werden kann.

Dorothea Sauter

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Jürgen Armbruster, Peter Petersen, Katharina Ratzke, Hrsg. Spiritualität und seelische Gesundheit. Köln: Psychiatrie Verlag, 2013. ISBN 978-3-88414-551-7, 288 Seiten, 29,95 Euro (Foto: Psychiatrie Verlag)

Ist es ein schwieriges Verhältnis, das psychiatrisch Pflegende zur Religiosität und Spiritualität pflegen? In der Literatur finden sich dazu nur wenige Beiträge.

Umso wichtiger erscheint es, dass Karin Irene Vogt in dem Buch „Spiritualität und seelische Gesundheit“ über die „Spiritualität in der pflegerischen Beziehung“ schreibt. Vogt thematisiert das Konzept des Spiritual Care und wagt mit dem Beitrag eine Konkretisierung dieser Idee in der Psychiatrischen Pflege: „Spiritual Care will die unterschiedlichen Lebenseinstellungen und Weltanschauungen aller Beteiligten beachten und spirituelle Bedürfnisse und Wünsche angemessen in die Pflege und Begleitung von Menschen bei Krankheit, Trauer und Sterben einbeziehen. Die Essenz von Spiritual Care besteht darin, wie die Pflegeperson interagiert und sich selbst in die Beziehung zum Patienten und Klienten einbringt, und nicht darin, dass sie pflegerischen Leitlinien und Standards folgt oder Techniken einsetzt.“

Diesen Ansatz als Herausforderung zu beschreiben, trifft sicher die Fakten. Schließlich scheint Pflege, auch Psychiatrische Pflege, einen großen Nachholbedarf im Kontext von Religiosität und Spiritualität zu haben. So wie es Vogt in dem Text herausarbeitet, betrifft dies wohl nicht nur eine religiöse Sprachlosigkeit psychiatrisch Pflegender. Wenig Fingerspitzengefühl scheinen psychiatrisch Pflegende bei der Wahrnehmung religiöser Bedürfnisse zu haben. Vogt ermutigt zu einer gewissen Demut, wenn sie schreibt: „Auf dem Gebiet der Spiritualität seien sie (die psychiatrisch Pflegenden; Anm. d. Verf.) jedoch eher Mitseiende und Weggefährten als Experten.“

Das Buch rückt ein Thema in den Fokus, das im alltäglichen Einerlei eher als randständiges Phänomen daherkommt. Dabei berühren Religiosität und Spiritualität die Menschen, seelisch angeschlagene Menschen erst recht, existentiell. So macht das Buch das einzig Richtige, wenn es psychiatrieerfahrenen Menschen eine Stimme gibt.

Die psychoseerfahrene Sybille Prins berichtet beispielsweise von „religiösen Erfahrungen in Psychosen“. Sie erzählt lebendig, wie tiefgreifend ihre Erlebnisse in der Krankheitserfahrung sind. Sie macht aber auch auf eine Sprachlosigkeit im psychiatrischen Kontext aufmerksam und wünscht sich, „dass solche Phänomene und Erfahrungen überhaupt thematisiert werden können“. Sie fordert Antworten ein, „die geeignet sind, den Betroffenen wirklich zu erreichen“. Wenn man dies liest, wird nicht nur eine spirituelle und religiöse Sprachlosigkeit der professionell Helfenden offenbar. Es stellt sich vielmehr noch die Frage, wie religiös unerfahrene Menschen (die Helfende heutzutage oft sind) diese Kompetenz zurückgewinnen können.

„Ich weiß nicht, wohin Gott mich führt“, schreibt Heike Korthals in ihrem Beitrag. Sie legt ein lebendiges Zeugnis zum Spannungsbogen von psychischer Erkrankung und Religiosität ab. Ihre Worte zeigen eine Authentizität, die im psychiatrischen Alltag eher selten erlebbar wird, aber gerade deshalb umso anschaulicher ist. Sie erinnert an den heiligen Franz von Assisi, wenn sie schreibt, dass sie mit den Vögeln in der Natur kommuniziere. „Ich kann ihre Laute, ihr Flugbild für mich und andere deuten – natürlich ganz unauffällig und undercover. Und ich muss mich dabei nicht zur Ruhe zwingen, um nicht psychotisch zu erscheinen. Ich bin einfach ruhig. Und ich weiß und fühle, mit allem was ich tue, und denke: Ich bin nicht allein!“

Der Leser wird nicht allein gelassen mit seiner Wissensarmut. Denn den Autoren geht es in gleicher Weise um Grundlegendes und um die persönlichen Erfahrungen. Es gibt Zugänge zur Spiritualität sämtlicher monotheistischer Glaubensbekenntnisse, aber auch das Bemühen, z. B. über die Achtsamkeitsdebatte oder die Milieugestaltung der Religiosität und Spiritualität die Türen zu öffnen.

Der Trialog in der psychiatrischen Szene wird als Türöffner verstanden, aber auch der Dialog zwischen Pfarrgemeinden und Betroffenen. Wenn Matthias Lauterbach in seinem Aufsatz „Heil werden in herausfordernden Arbeits-und Lebenssituationen“ die Kunst der Selbstsorge in sozialen Berufen betrachtet, dann geht es auch um den sinnvollen Monolog. Der Diskurs lohnt sich.

Christoph Müller