Gesundheitswesen 2014; 76 - A50
DOI: 10.1055/s-0034-1386900

Erinnerung und Lebensqualität in ländlichen Gemeinschaften

JA Forkel 1, T Elkeles 1
  • 1Hochschule Neubrandenburg, Neubrandenburg

Im Projekt Lebensqualität und Erinnerung in ländlichen Gemeinschaften, welches an der Hochschule Neubrandenburg durchgeführt wird, steht der Befund einer territorialen Ungleichheit für periphere ländliche Räume forschungsleitend im Mittelpunkt. Das nicht zuletzt, da in den letzten Jahren gezeigt werden konnte, dass diese Abkehr von föderalen und grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsätzen negative Effekte für die Lebensqualität, Morbidität und Mortalität vor allem älterer Menschen in diesen Regionen hat. Diese Befunde stellen daher eine Negativfolie für die gesellschaftlichen Folgen einer krisenhaften Dynamik von Gratifikation und Lebensarbeitsbilanz vor allem in strukturschwachen Räumen. Der mittlerweile erkannten Krise, die sich durch Geschlechtersegregation und Alterung auf der einen und Zentralisierung auf der anderen Seite auszeichnet, ist dabei nicht mit direkten Modellen der Intervention zu begegnen. Die politisch favorisierte Stärkung von ehrenamtlichen und informellen Initiativen können jedoch den eklatanten Rückzug der Institutionen der Daseinsvorsorge und der soziokulturellen Infrastruktur nicht ausgleichen, leisten aber einen Beitrag zur Stärkung der Selbstwirksamkeit. Die Untersuchung/Intervention LETHE entwickelt getreu dem Grundsatz Pierre Bourdieus, nach dem die soziale Welt ‚akkumulierte und inkorporierte Geschichte‘ sei, ein Modell zum Empowerment in kleineren und kleinsten Gemeinden im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte im Land Mecklenburg-Vorpommern mittels eines biographischen und regionalgeschichtlichen Zugangs. Ausgangspunkt ist die Untersuchung soziokultureller Unterschiede in neun ausgewählten Gemeinden, die nach dem Stichprobenverfahren der mikrospatialen Differenzierung ermittelt wurden. Hierzu werden im Sommer 2014 teilnehmende Beobachtungen, Expertengespräche, vor allem aber biographische Interviews zu den Erinnerungen älterer und alter Einwohner geführt. Ziel ist es, mit dem gewählten biographischen Zugang Veränderungen der Lebensqualität im Alter nicht nur im Kontext der rezenten (Krisen-)Semantik zu erkennen, sondern auch die relative Sicht auf das soziale Netzwerk in der Dorfgemeinschaft als eine symbolische Institutionalisierung zu ermöglichen. Diese Impulse aufgreifend, wird schließlich im Frühjahr 2015 gemeinsam mit dem und am Regionalmuseum Neubrandenburg eine Regionalausstellung zu den Ergebnissen und Perspektiven eröffnet werden, welche zuvor in den Gemeinden nach dem History-Workshop-Konzept (R. Samuel) erarbeitet wurden. In der alternden Struktur der Dörfer sind mit der Erforschung dieser sozialen Gegebenheiten damit Anwendbarkeiten und Entwicklungsstrategien möglich, die über die unmittelbare Prävention riskanter Lebensweisen und Umweltbedingungen hinausgehen, da in ländlichen Gemeinschaften die Bereitschaft zum gemeinsamen Handeln auch in der Voraussetzung zum gemeinsamen Reden liegt – die eben in der Vergangenheit geschaffen oder verloren wurde. Die Initiierung von Engagement liegt damit vielleicht nicht nur in aktivierenden ‚Zukunftswerkstätten‘, sondern auch in ‚Geschichtswerkstätten‘.