Gesundheitswesen 2014; 76 - A80
DOI: 10.1055/s-0034-1386930

Gesundheitsrisiko Schichtarbeit: Gesundheitliche Konsequenzen flexibler Arbeitsstrukturen in der Dienstleistungsgesellschaft

L Hünefeld 1, A Göttert 1
  • 1Goethe-Universität Frankfurt a.M.

In neueren Debatten um gesundheitliche Auswirkungen von Arbeit wird viel über die Prekarisierung und Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen diskutiert (Pongratz & Voß 2000; Kratzer et al. 2011). Schichtarbeit zählt dabei als eine Flexibilisierungsform, zu der bereits viel geforscht worden ist. Darunter versteht man eine Tätigkeit, die zu wechselnden Zeiten (Wechselschicht) oder konstant ungewöhnlicher Zeit (z.B. Dauerspätschicht, Dauernachtschicht) stattfindet (AWMF 2006). Bisherige Studien verweisen auf erhebliche gesundheitliche Risiken durch diese Arbeitsform und berichten von Schlafstörungen, kardiovaskulären Erkrankungen oder Diabetes (u.a. Bøggild & Knuttson 1999; Akersted 2003; Paridon 2012). Während Schichtarbeit bis Ende des 20. Jahrhunderts vorrangig als eine Arbeitsbedingung bei Erwerbstätigen in der Produktion oder bei medizinischem Personal betrachtet wurde, verweisen neuere Untersuchungen auf einen Zuwachs von Schichtarbeit im Dienstleistungsbereich, in denen Leistungen rund um die Uhr gefordert sind, wie beispielweise im Verkehrswesen, in der Kommunikationsbranche oder im Pflegebereich (Angerer & Petru 2010). So waren 2011 27% der in Wechselschicht Beschäftigten im Bereich „Öffentliche und private Dienstleistungen” tätig, während dieser Anteil 1998 noch bei 23% lag (Leser et al. 2013). Während die meisten Studien zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Schichtarbeit bei Arbeitern im produzierenden Gewerbe durchgeführt wurden, ist bisher noch wenig über die gesundheitlichen Konsequenzen von Angestellten im Dienstleistungsbereich bekannt. Aus diesem Grund gehen wir in unserem Beitrag der Fragestellung nach, ob und wie sich das Arbeiten zu ungewöhnlichen oder wechselnden Zeiten auf die Gesundheit von Angestellten im Dienstleistungsbereich auswirkt. Datengrundlage bildet dabei eine branchenunspezifische Stichprobe von Angestellten (N= 6699) im Alter von 18 – 65 Jahren, die mindestens 20 Stunden pro Woche arbeiten. Diese stammt aus der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell 2010“ (GEDA10) des Robert Koch Institutes. Die Auswertungen zeigen, dass 18% der untersuchten Angestellten häufig in Schichtarbeit arbeiten. Dabei sind mit 16% die Angestellten in Wechselschicht mit und ohne Nachtarbeit beschäftigt. Weitere 2% arbeiten ausschließlich Nachts. Weiterhin zeigt sich, dass Schichtarbeit unter den Angestellten mit anderen gesundheitsbelastenden Arbeitsbedingungen einhergeht: 51% der Schichtarbeiter berichten von häufigem Tragen schwerer Lasten bei der Arbeit, 43% arbeiten häufig unter Umgebungseinflüssen wie Lärm, Kälte oder Hitze. 47% erfahren starke zeitliche Belastungen. Auswertungen mittels Binärlogistischer Regressionen zeigen auf, dass das Risiko die eigene Arbeit als gesundheitsgefährdend zu empfinden, durch Schichtarbeit signifikant erhöht ist. Gerade Nachtarbeit stellt eine potentielle Gesundheitsgefährdung dar. Das Risiko bei Schichtarbeitern zeigt sich im Vergleich zu Angestellten ohne Schichtarbeit um das 4-Fache erhöht. Weiterhin ist die Wahrscheinlichkeit eines subjektiv als schlecht empfundenen Gesundheitszustandes bei Schichtarbeitern, im Vergleich zu Angestellten ohne Schichtarbeit, 58% höher. Zudem wirkt sich die Schichtarbeit nicht nur direkt auf den Gesundheitszustand der Angestellten aus, sondern schlägt sich auch in gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen nieder, die mit kardiovaskulären Erkrankungen in Zusammenhang stehen. So geht gerade Nachtarbeit mit einem 5-fach erhöhten Risiko zu Rauchen und einem um das 1,2-fach erhöhte Risiko zu riskantem Alkoholkonsum einher. Darüber hinaus steigt das Übergewichtsrisiko für Personen, die in Wechselschicht arbeiten. Die Ergebnisse bestätigen die Aussage von Beermann (2008), dass die mit Schichtarbeit verbundenen gesundheitlichen Konsequenzen nicht der Vergangenheit angehören. So muss in Zukunft auch das Arbeiten in der Dienstleistungsbranche in Schichtarbeit weiter optimiert werden.