Gesundheitswesen 2014; 76 - A81
DOI: 10.1055/s-0034-1386931

Erreichen Maßnahmen zur Förderung der körperlichen Aktivität auch die sportlich Inaktiven? Ergebnisse der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS)

S Jordan 1, E von der Lippe 1
  • 1Robert Koch-Institut, Berlin

Einleitung/Hintergrund: Verhaltenspräventive Maßnahmen sollen das individuelle Gesundheitsverhalten durch Information, Beratung und das Einüben neuer Verhaltensweisen fördern. Für Erwachsene findet dies meistens in Form von Gruppenangeboten an Volkshochschulen, in Sportvereinen, in Betrieben, in Fitnessstudios und durch Angebote der gesetzlichen Krankenkassen statt. Etwa ein Sechstel der gesetzlich Versicherten nahm 2008 – 2011 an mindestens einer verhaltenspräventiven Maßnahme in den letzten zwölf Monaten teil [1]. Gleichzeitig gibt es bei verhaltenspräventiven Maßnahmen Hinweise, dass vor allem Bevölkerungsgruppen daran teilnehmen, die ohnehin ein ausgeprägtes Gesundheitsverhalten haben, während Personen, die den größten gesundheitlichen Nutzen von den Angeboten hätten, nicht erreicht werden (Präventionsdilemma). Bislang wurde diese Frage vor allem mit Querschnittsstudien untersucht, die die methodische Einschränkung aufweisen, dass nur zu einem Zeitpunkt Gesundheitsverhalten und Teilnahme an einer Maßnahme erhoben werden können. Deshalb soll hier in einer Längsschnittstudie für den Angebotsschwerpunkt „Bewegungsförderung“ der Frage nachgegangen werden, ob verhaltenspräventive Maßnahmen zur Bewegungsförderung auch Personen erreichen, die bislang sportlich inaktiv waren.

Daten/Methoden: Die Längsschnittanalysen beruhen auf den Daten von 3959 Befragten, die zu t0 im „Bundes-Gesundheitssurvey von 1998“ (BGS98) aus den Jahren 1997 – 1999 teilnahmen und zu t1 als Wiederbefragte in der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS1) von 2008 – 2011 (Response 62%). In die Analyse werden gesetzlich krankenversicherte Personen einbezogen, die zu t1 zwischen 30 und 79 Jahre alt waren. Sie wurden zu t1 über ihre Teilnahme an verhaltenspräventiven Maßnahmen in den letzten zwölf Monaten im Bereich körperlicher Aktivität befragt (Gymnastik oder Fitness/Ausgleichssport). Zu t0 wurden sie nach der Häufigkeit der sportlichen Aktivität in den letzten drei Monaten gefragt und die Antworten wurden für die Auswertung dichotomisiert in „keine sportliche Betätigung“ und „sportliche Aktivität“ (n = 3326). Die Auswertung erfolgte mit Stata 12 SE nach Geschlecht, Alter und sozioökonomischem Status (SES) stratifiziert.

Ergebnisse: Von den zu t0 sportlich Aktiven nahmen 18,4% [95%-KI= 16,6 – 20,3] zu t1 an einer Maßnahme zur Bewegungsförderung teil. Von den zu t0 sportlich Inaktiven waren es nur 10,2% [95%-KI= 8,3 – 12,3], die zu t1 an einer Bewegungsförderungsmaßnahme teilnahmen. Dieser Unterschied mit einem fast doppelt so hohen Anteil der sportlich Aktiven gegenüber den sportlich Inaktiven ist statistisch signifikant und findet sich für Frauen wie für Männer. Hinsichtlich der Altersgruppen der 45- bis 64-Jährigen und der 65- bis 79-Jährigen zeigt sich ein ähnliches Bild: Die zu t0 sportlich Aktiven nahmen im Vergleich zu den früher sportlich Inaktiven zu t1 doppelt so häufig an den Maßnahmen teil. Der Sozialstatus hat nur bei Frauen mit mittlerem oder hohem SES einen signifikanten Einfluss. Hier nahmen die sportlich aktiven Frauen eine Dekade später deutlich häufiger an Maßnahmen zur Bewegungsförderung teil.

Diskussion/Schlussfolgerungen: Die vorgestellten vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass sich in Maßnahmen zur Bewegungsförderung doppelt so häufig früher sportlich aktive Frauen und Männer finden als sportlich inaktive. Dies gilt insbesondere für die über 45-Jährigen und bei Frauen mit mittlerem oder hohem Sozialstatus. Die Daten bestätigen die Annahme, dass verhaltenspräventive Maßnahmen häufiger Personen erreichen, die ohnehin ein ausgeprägtes Gesundheitsverhalten aufweisen. Es bedarf zielgruppenspezifischer Strategien und anderer Ansätze (z.B. Verhältnisprävention, Setting-Ansatz), um insbesondere die Bevölkerungsgruppen zu erreichen, die bislang sportlich inaktiv waren.