Gesundheitswesen 2014; 76 - A119
DOI: 10.1055/s-0034-1386969

Die Nutzung von Routinedaten der Sozialversicherung in der Gesundheitsforschung: Zum Ausmaß der Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI

R Müller 1
  • 1Zentrum für Sozialpolitik (ZeS), Universität Bremen, Bremen

Einleitung: Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt stetig und die Frage nach der Zukunft der pflegerischen Versorgung wird immer lauter gestellt. Vor diesem Hintergrund ist es bedeutsam zu wissen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit derzeit und in Zukunft ist, pflegebedürftig zu sein oder zu werden. Zudem stellt sich die Frage, wie lange die Pflegebedürftigkeit dauern wird, falls sie eintritt. Verschiedene amtliche Daten und Routinedaten ermöglichen, sich den Fragen zu nähern. Diese Daten sind vom Umfang der Merkmale und von der Vollständigkeit der Erhebung unterschiedlich geartet. In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit mit den unterschiedlichen Daten das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit und die Pflegeverläufe dargestellt werden können.

Daten und Methoden: Die Zahlen der Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes sowie die Zahlen der Statistik der Sozialen Pflegeversicherung des Bundesministeriums für Gesundheit werden ins Verhältnis zur Bevölkerungsstatistik gesetzt. Die Begutachtungsstatistik des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen wird mit der Zahl der gesetzlich Versicherten verglichen. Die Leistungsdaten einer Pflegeversicherung werden ins Verhältnis zur Zahl ihrer Versicherten gesetzt.

Ergebnisse: Die Pflegestatistik und die Statistik der Sozialen Pflegeversicherung sind in der Lage, die Prävalenzen zu einem Stichtag oder im Jahresdurchschnitt abzubilden. Die Begutachtungsstatistik kann Inzidenzen abbilden und bei Wiederholungsbegutachtungen auch den vorherigen Zustand wiedergeben. Bei den amtlichen Statistiken handelt es sich um Vollerhebungen (teilweise nur gesetzlich Versicherte), während die einzelnen Pflegeversicherungen sich dem Problem der Repräsentativität stellen müssen. So zeigen sich mit den Daten der BARMER GEK Inzidenzen und Prävalenzen, die ca. 10% niedriger liegen als durch die amtliche Statistik gemessen. Die Trends sind aber auf Basis aller Datengrundlagen gleich. So lassen sich in gleicher Weise prinzipiell rückläufige Zahlen erkennen, die aber im Zuge von Gesetzesnovellen (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz von 2008 (PfWG); Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) von 2012) wieder ansteigen. Wie hoch das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit dargestellt ist, hängt somit nicht nur von der Datenquelle ab, sondern auch von den rechtlich-definitorischen Grundlagen. Die Dauern von Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI sind in den amtlichen Statistiken nicht erfasst. Gleiches gilt für die Lebenszeitprävalenz, also die Wahrscheinlichkeit, jemals im Leben pflegebedürftig zu werden. Mit den Routinedaten der Pflegeversicherungen sind hingegen neben den Inzidenzen und Prävalenzen auch die Verläufe durch Pflegestufen und durch die Versorgungsarten (Angehörigenpflege, Pflegedienst, Pflegeheim), die Dauern und die Lebenszeitprävalenzen darstellbar.

Diskussion und Schlussfolgerung: Um die Gesamtzahl der Pflegebedürftigen zu benennen, sollten die amtlichen Statistiken verwendet werden. Für eine Analyse des Risikos, pflegebedürftig zu werden, sind die Routinedaten der Pflegeversicherung zu präferieren. Für Prognosen der Zahl zukünftiger Pflegebedürftiger sind dringend die gesetzlichen Rahmungen zu berücksichtigen. Die in Planung befindliche Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs wird zu einem zusätzlichen definitorischen Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen führen, für die auch weitere Mittel in der Pflegeversicherung zur Verfügung gestellt werden müssen.